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Schweiz
Die Regierung lässt bisher Führungswillen im EU-Dossier vermissen. Liegt das Ergebnis der Verhandlungen mit Brüssel vor, will der Bundesrat aber klar Ja oder Nein sagen. Das Komitee Progresuisse fordert derweil einen Volksentscheid über den Rahmenvertrag.
Der Bundesrat hat bisher im Umgang mit dem EU-Rahmenabkommen wenig Führungsstärke bewiesen – dieser Vorwurf ist aus allen Parteien zu hören. Verschiedentlich äusserten darum Vertreter aus Politik und Wirtschaft die Befürchtung, dass die Landesregierung den Entscheid über das Verhandlungsergebnis ans Bundesparlament abschieben könnte.
Das wird aber nicht passieren. Bundesratsnahe Quellen sagen, dass die Regierung nun gewillt sei, klar Stellung zu beziehen. Stuft der Bundesrat das Verhandlungsresultat, das Chefunterhändlerin Livia Leu aus Brüssel mitbringt, als gut ein, wird er den Vertrag paraphieren und eine Botschaft ans Parlament ausarbeiten. Abschliessend entscheiden dann die Stimmberechtigten.
Ist der Bundesrat nicht zufrieden mit dem Ergebnis, paraphiert er den Vertrag nicht. Er konsultiert möglicherweise die Aussenpolitische Kommission, gibt das Abkommen aber nicht ins Parlament. Es ist in diesem Fall gescheitert. «Der Bundesrat will sich vor diesem Entscheid nicht drücken», ist zu hören. Ständerätin Andrea Gmür (Mitte) meint:
Es ist absolut richtig, dass der Bundesrat über Ja oder Nein zum Rahmenvertrag entscheidet.
Unterschreibe der Bundesrat das Abkommen nicht, erwartet Gmür aber, dass er aufzeige, wie es weitergehe in den Beziehungen der Schweiz zur EU. Gmürs Forderung wird von vielen geteilt, denn es hat sich herumgesprochen, dass die Verhandlungen mit Brüssel nicht vom Fleck kommen.
Der Bundesrat erwartet deutliche Verbesserungen beim Lohnschutz, der Unionsbürgerrichtlinie und den staatlichen Beihilfen. Kommt die EU der Schweiz nur in einem oder in zwei Punkten entgegen, reicht das dem Bundesrat nicht.
Das Komitee Progresuisse, das sich für den Vertrag einsetzt, will in den kommenden Tagen hingegen fordern, dass der Vertrag in jedem Fall vom Stimmvolk beurteilt werden soll – unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen mit Brüssel.
In ihren fünf Unterhaltungen über jeweils mehrere Stunden haben sich die Positionen der Schweiz und der EU offenbar kaum angenähert. Ein Beobachter bezeichnet die Treffen als eine Art «Gesprächstherapie», bei der vor allem die Schweizer Seite sich erkläre.
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat ihre Leute offenbar instruiert, gegenüber den Schweizern grösstmögliche Offenheit zu zeigen, ohne freilich die inhaltlichen Position zu verschieben. «Bis jetzt wurde noch kein Komma am Abkommenstext geändert», bestätigt eine informierte Quelle.
Stattdessen wurde detailliert festgehalten, wo in den drei Bereichen die Positionen wie weit auseinanderliegen. Damit es jetzt weitergehen könne, erwarte die Schweiz eine politische Entscheidung von der EU-Spitze, heisst es. Brüsseler Gesprächspartner sehen darin jedoch den Versuch, die heisse Kartoffel abzuschieben.
Die EU selbst dürfte von sich aus die Gespräche nicht abbrechen. Die Verantwortung für ein Scheitern soll der Bundesrat übernehmen. Wenn Livia Leu weitere Termine in Brüssel wünscht, wird sie diese demnach bekommen.
Aus Mangel an Fortschritten sind die EU-Mitgliedstaaten bis jetzt von der EU-Kommission nicht konsultiert worden. Zu substanziellen Zugeständnissen bereit ist man aber auch auf dieser Seite nicht. «Wer nach mehr Flexibilität fragt, verkennt die Lage», ist vom Vertreter eines Nachbarstaats zu hören. Das Rahmenabkommen an sich sei bereits ein flexibler Kompromiss seitens der EU.