Die Neuenburger Jurastadt La Chaux-de-Fonds blickt auf vier schreckliche Jahre zurück. In der nächsten Legislaturperiode entscheidet sich, ob die Uhrenmetropole als «little big town», als kleine Grossstadt, überlebt.
«Enfin!», endlich!, können die Chaux-de-Fonniers ausrufen, denn nach langen Turbulenzen hat ihre Stadt endlich eine neue Führung. Die bei den Gemeindewahlen im Juni gewählte Exekutive kann ihre Arbeit aufnehmen, nachdem eine Einsprache gegen die Wahlresultate seitens des Kantons abgelehnt wurde. Der Kanton hat zudem entschieden, dass ein allfälliger Rekurs gegen diesen Entscheid keine aufschiebende Wirkung haben würde. Konkret bedeutet dies, dass die neugewählten Gemeindebehörden seit dem 1. August offiziell im Amt sind.
Diese Rekurs-Affäre zeigt allerdings, wie angespannt die Nerven sind. Hinter dem Hickhack standen offenbar zwei Männer, die in den letzten Jahren viel Unruhe in die Neuenburger Politik brachten. Der eine ist der vormalige FDP-Regierungsrat Frédéric Hainard, der 2009 mit nur 33 Jahren in die Kantonsregierung gewählt wurde, aber bereits drei Jahre später demissionieren musste, weil er sich des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht hatte. Er hatte unter anderem einer Geliebten zu einer Staatsstelle verholfen und unzulässigen psychologischen Druck auf eine Asylbewerberin ausgeübt. Schliesslich musste Hainard sich in aller Öffentlichkeit bei den Bürgern – und bei seiner Frau – entschuldigen und den Hut nehmen. Bei den Gemeindewahlen im Juni kandidierte er für das Stadtparlament von La Chaux-de-Fonds, wurde aber nicht gewählt.
Der andere Beschwerdeführer ist der bei den Gemeindewahlen gestürzte vormalige SVP-Stadtrat Jean-Charles Legrix, der sich während der ganzen letzten Legislaturperiode mit seinen Kollegen ge- und zerstritten hat. Der SVP-Mann, der nicht nur wegen seiner Leibesfülle, sondern auch wegen seiner sehr konservativen, evangelikal geprägten Überzeugungen im rosarot gefärbten La Chaux-de-Fonds auffällt und aneckt, sass als rechter Minderheitsvertreter in der Stadtexekutive. Er sah sich als Saubermann, der die seit Beginn des 20. Jahrhunderts von einer linken Mehrheit geführte Stadtverwaltung ausmisten sollte.
Dabei überwarf er sich mit einem Teil seiner Chefbeamten und Untergebenen wie auch mit seinen Exekutivkollegen. Als gegen Legrix Mobbing-Vorwürfe laut wurden, ergriffen die Gegner etwas vorschnell die Gelegenheit, ihrem ungeliebten SVP-Kollegen dessen Direktion zu entziehen – wohl in der Annahme, dass er darauf demissionieren würde. Dies tat Legrix aber keineswegs. Vielmehr wehrte er sich gegen die De-facto-Amtsenthebung so zäh, dass die Exekutive ihn wieder aus der Quarantäne entlassen und ihm eine neue Direktion geben musste. Da aber Legrix bei den letzten Exekutivwahlen nicht mehr gewählt wurde und einem anderen SVP-Vertreter den Vortritt lassen musste, scheint auch diese Affäre jetzt zu Ende.
Es sieht also ganz danach aus, als könnte in der neuen Legislaturperiode nun Ruhe einkehren. Und dies ist gut so, denn die neuen Behörden haben politische Herkules-Arbeiten zu erledigen. Mit rund 39 000 Einwohnern ist La Chaux-de-Fonds zwar immer noch (nach Genf und Lausanne) die drittgrösste oder – unter Einschluss der zweisprachigen Gemeinde Biel-Bienne – viertgrösste Stadt der Romandie. Aber dieser Ehrentitel kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich die frühere Welt-Uhrenmetropole in einer äusserst kritischen Lage befindet, die ihr Überleben als kleine Grossstadt in Frage stellt.
Historiker weisen gerne darauf hin, dass die Existenz einer solchen Stadt auf 1000 Meter Meereshöhe, in einem kargen und wasserarmen Jura-Tal, alles andere als selbstverständlich sei – ja geradezu einen Unfall der Geschichte darstelle. Diesen Unfall oder Zufall hat erst die Uhrenindustrie möglich gemacht. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich La Chaux-de-Fonds in einigen Jahrzehnten von einem Weiler zu einer Uhrenmetropole, in der zeitweise mehr als die Hälfte aller in der Welt produzierten Qualitätsuhren hergestellt wurden.
In den 1970er-Jahren fand diese Entwicklung aber ein jähes Ende, und es dauerte gegen 30 Jahre, bis sich die Stadt von der Rezession erholte. Nach der Jahrtausendwende ging es langsam aufwärts – dank der neuen Hochkonjunktur im Luxusuhren-Sektor, aber auch dank neuer Niederlassungen im Bereich der Elektronik und Medizinaltechnik. Doch in der letzten Legislaturperiode geriet der städtische Finanzhaushalt erneut aus dem Gleichgewicht.
Ein Rückgang der Steuereinnahmen, kombiniert mit neuen Belastungen, führten zu einem steigenden Defizit. SP-Stadtrat Théo Huguenin-Elie warnt: «Wenn Bund und Kanton weiter Lasten auf die Stadt verschieben, sehe ich schwarz.»
Der Sozialdemokrat in der Stadtexekutive gehört zu jenen einheimischen Politikern, die in der Kantonshauptstadt pausenlos für die Anliegen ihrer grössten Stadt weibeln – nicht unbedingt mit grossem Erfolg. Tatsache ist jedenfalls, dass der Kanton seine Infrastruktur-Einrichtungen immer mehr auf den unteren Kantonsteil konzentriert. Zwar läuft das Projekt, die kantonalen Justizbehörden in La Chaux-de-Fonds in einem «Palais de justice» zusammenzuführen. Das stösst im unteren Kantonsteil allerdings auf grossen Widerstand, nicht zuletzt in der Anwaltskammer.
Unter diesen Umständen müssen die Behörden von La Chaux-de-Fonds in den nächsten Monaten und Jahren viel Energie und Kraft in die Waagschale werfen, wenn sie dem Niedergang der Uhrenmetropole und deren Entwicklung zur Schlafstadt Einhalt gebieten wollen. Geschlossenes Auftreten tut not. Weitere Affären kann sie sich nicht leisten.