Trotz Erfolg auf dünnem Eis

Eveline Widmer-Schlumpf ist die Frau der Stunde: Sie macht in der Finanzkrise eine gute Figur. Für ihre mittelfristige Zukunft im Bundesrat hat das aber wenig zu bedeuten.

Stefan Schmid
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Eveline Widmer-Schlumpf ist die Frau der Stunde. Wie sie seit dem krankheitsbedingten Ausfall von Bundesrat Hans-Rudolf Merz ihr Amt als Justiz- und stellvertretende Finanzministerin ausführt, beeindruckt: Sei es an der Pressekonferenz vom letzten Donnerstag, als die Bundesrätin zusammen mit Bundespräsident Pascal Couchepin und weiteren Vertretern von Bund und Nationalbank das UBS-Rettungspaket erläuterte. Sei es in der TV-Arena vom Freitag, als Widmer-Schlumpf souverän und kompetent Auskunft gab. Die zierliche Frau aus dem Bündnerland besticht mit ihrem bescheidenen, sattelfesten Auftreten.

Lob von links bis Mitte-rechts

Entsprechend positiv tönt es, wenn man Politiker von links bis hin zum Freisinn nach der Leistung von Widmer-Schlumpf fragt: «Ich bin zufrieden», sagt FDP-Fraktionschefin Gabi Huber. «Gut, haben wir sie in die Regierung gewählt», sagt CVP-Fraktionschef Urs Schwaller. «Sie ist eine fähige und integre Bundesrätin», lobt Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen. Fast schon geadelt wird Widmer-Schlumpf von CVP-Präsident und Blocher-Gegner Christophe Darbellay: Sie habe von Anfang an hervorragende Arbeit geleistet und durch Kompetenz und Effizienz beeindruckt, sagte er der «Südostschweiz am Sonntag».

Die SVP hingegen kann sich mit der Bundesrätin, die sie nicht wollte, weiterhin nicht anfreunden. «Ich kann diese Lobeshymnen nicht verstehen», sagt Parteipräsident Toni Brunner auf Anfrage. «Es ist noch viel zu früh, um zu beurteilen, ob das Rettungspaket des Bundesrats etwas taugt.» Deutlicher äussert sich Brunners Parteikollege Christoph Mörgeli: In der TV-Arena sei es mittlerweile nicht mehr schwer, als Bundesrat gut dazustehen. «Kritische Fragen sind nicht erwünscht, die Bundesrätin konnte reden, so lange sie wollte.»

Dass ihr mit Ausnahme der SVP viele Parteien wohlgesinnt sind, ist für Widmer-Schlumpf ein ermutigendes Zeichen. Mit einem Sympathiebonus lässt sich im Bundeshaus besser politisieren als mit einem Negativ-Image, wie der Fall Samuel Schmid zeigt.

Für ihre mittelfristige Zukunft in der Landesregierung – namentlich die Wiederwahl 2011 – hat dies aber herzlich wenig zu bedeuten. Widmer-Schlumpf ist Vertreterin einer Kleinpartei, die rein rechnerisch keinen Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat hat. Daran wird sich bis 2011 nichts ändern. Je nach Wahlresultat wird der Druck zunehmen, wieder zur alten Zauberformel zurückzukehren. Widmer-Schlumpf ist ohne eigene Hausmacht im Rücken das exponierteste Mitglied im Bundesrat. Sie ist zu einer erfolgreichen Politik verdammt. Macht sie grobe Fehler, wirkt sich das bei ihr stärker aus als bei einem Regierungsmitglied, das von einer grossen Fraktion getragen wird.

Das wissen auch die Politikerinnen und Politiker, die heute des Lobes voll sind, wenn von der Justizministerin die Rede ist. Sobald es nämlich um die Beurteilung ihrer Wiederwahlchancen geht, werden sie vorsichtiger und drücken sich um eine klare Stellungnahme. Für FDP-Fraktionschefin Gabi Huber hat Widmer-Schlumpfs Partei, die BDP, «grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat.» Auf die Frage, ob sie Widmer-Schlumpf zum heutigen Zeitpunkt wählen würde, weicht die Urnerin aus. «Diese Frage stellt sich nicht.» Vorsichtig äussert sich auch CVP-Fraktionschef Urs Schwaller, einer der Architekten ihrer Wahl: «Bis 2011 kann noch viel passieren. Widmer-Schlumpf muss jetzt einfach drei Jahre lang mit guter Arbeit das Parlament überzeugen.»

Am meisten Konfliktpotenzial birgt allerdings das Verhältnis von Widmer-Schlumpf zur Ratslinken. SP und Grüne haben die Bündnerin im vergangenen Dezember zusammen mit einer CVP-Mehrheit und einer FDP-Minderheit in den Bundesrat gewählt. Ob sie in drei Jahren bereit sind, die Justizministerin wieder massiv zu unterstützen, hängt stark von der Politik ab, welche Widmer-Schlumpf betreibt.

Klar ist, die geplanten Verschärfungen im Asylrecht – keine Asylgesuche mehr auf Botschaften und Nichtanerkennung von Desertion als Fluchtgrund – stossen bei SP und Grünen sauer auf. Sie gingen davon aus, dass mit der Abwahl Blochers die Verschärfungsspirale im Asyl- und Ausländerbereich gestoppt würde. Sie könnten sich getäuscht haben, denn die Bündnerin erweist sich in dieser Frage als knallharte Rechte, die wenig geneigt scheint, der Linken entgegenzukommen. Kommt hinzu, dass die neuerdings wieder ansteigenden Asylzahlen wie auch die hängige Ausschaffungs-Initiative der SVP den Druck auf die Justizministerin erhöhen, eigene Lösungen zu präsentieren.

Das Grundproblem bleibt

«Wir werden 2011 entscheiden, ob wir sie wieder unterstützen», sagt deshalb Grünen-Chef Leuenberger. «Eine harte Asylpolitik à la Blocher werden wir aber nicht akzeptieren.» Wer sich letztlich für die Justizministerin stark machen wird, ist offen. Eine bis dahin erfolgreiche Politik verschafft ihr Goodwill und erhöht die Wiederwahlchancen. Eine Wahlgarantie hat sie damit freilich noch lange nicht. Denn am Grundproblem – Vertreterin einer Kleinpartei – und am Dilemma – rechte Frau braucht linke Unterstützung – wird sich nichts ändern.