SPRACHENSTREIT: Berset belässt es bei der Drohung

Bundesrat Berset greift im Sprachenstreit überraschend doch nicht ein – wegen der jüngsten Entwicklungen in der Ostschweiz. Den Druck auf die Kantone hält er aber aufrecht.

Maja Briner
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Innenminister Alain Berset verzichtet darauf, in den Sprachenstreit einzugreifen – zumindest vorerst. (Bild: Anthony Anex/KEY)

Innenminister Alain Berset verzichtet darauf, in den Sprachenstreit einzugreifen – zumindest vorerst. (Bild: Anthony Anex/KEY)

Maja Briner

Der Bundesrat liess im Sprachenstreit wiederholt die Muskeln spielen, doch nun zaudert er. Ursprünglich wollte Innenminister Alain Berset den Kantonen vorschreiben, dass in der Primarschule eine zweite Landessprache unterrichtet werden muss. Im Sommer schickte er eine entsprechende Gesetzesänderung in die Vernehmlassung. Der nationale Zusammenhalt sei gefährdet, sollten einige Kantone Französisch aus der Primarschule verbannen, begründete die Regierung den Schritt damals. Gestern kam der Rückzieher: Der Bundesrat entschied, derzeit nicht in den Sprachenstreit einzugreifen.

Berset begründete das Umdenken mit den Entwicklungen der vergangenen Monate. «Verschiedene Kantone haben Entscheide getroffen, welche die Strategie des Sprachenkompromisses bestätigten», sagte Berset. Er verwies insbesondere auf den Kanton Thurgau, der die Verschiebung des Französischunterrichts in die Oberstufe nochmals überdenkt. Die Regierung beschloss im September, dass das Kantonsparlament erneut darüber abstimmen soll.

Berset erwähnte zudem die drei kantonalen Abstimmungen in Schaffhausen, St. Gallen und Thurgau, in denen sich das Stimmvolk zum Lehrplan 21 respektive zum Harmos-Konkordat bekannte. Laut dem Präsidenten der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), Christoph Eymann, sind diese Volksentscheide auch ein Resultat der bundesrätlichen Drohung (siehe Interview unten).

Die EDK zeigte sich gestern erfreut über den Beschluss des Bundesrats. Sie wehrte sich entschieden gegen ein Eingreifen des Bundes. In einem Brief an Berset hatte die EDK gewarnt, eine eidgenössische Volksabstimmung über die Sprachenfrage könnte zu einer «nationalen Zerreissprobe» werden. Nun können die Kantone aufatmen – allerdings nur vorerst. Denn Innenminister Berset machte gestern deutlich: Ein Eingreifen des Bundesrats ist nicht definitiv vom Tisch. Berset will den Kantonen genau auf die Finger schauen und wenn nötig auch reagieren. Die Leitplanken gab Berset gestern vor: Streicht ein Kanton den Französischunterricht in der Primarschule oder macht er Französisch in der Oberstufe zum Wahlfach, droht eine Regelung auf Bundesebene. In mehreren Kantonen, darunter Luzern und Zürich, sind entsprechende Initiativen hängig. Spätestens im zweiten Halbjahr 2017 will Berset die Lage mit den Kantonen daher erneut besprechen.

Damoklesschwert über dem Thurgau

Anders als die meisten Kantone hatten die Lehrerverbände in der Vernehmlassung das Vorgehen des Bundesrats unterstützt. Der Deutschschweizer Lehrerverband LCH schrieb im Herbst in seiner Stellungnahme sogar, der heutige Zustand bei der Harmonisierung des Fremdsprachenunterrichts erinnere in der Deutschschweiz an einen «Flickenteppich». Trotz des bundesrätlichen Rückziehers zeigte sich LCH-Präsident Beat W. Zemp gestern zufrieden. «Der Bundesrat hat definiert, in welchen Fällen er eingreifen wird», sagt er. Das sei vorher nicht klar gewesen. «Das Damoklesschwert hängt jetzt über all jenen Kantonen, die sich nicht an diese Vorgaben des Bundesrats halten oder die davon abweichen wollen», sagt Zemp. Der Bundesrat gebe den betroffenen Kantonen wie etwa dem Thurgau nochmals eine Chance. Gleichzeitig lasse er ihnen auch einen gewissen Spielraum.

Zemp sagt aber auch: «Zugespitzt gesehen wäre die Interventionsgrenze bereits erreicht.» Schliesslich sei beispielsweise in Glarus Französisch in der Oberstufe bereits heute kein Pflichtfach.