Sie wechseln vom Regierungs- zum Nationalrat

Mehrere ehemalige oder amtierende Regierungsräte wollen in den Nationalrat. Der Rollenwechsel vom Mitglied einer Kollegialbehörde zum Parteipolitiker gelingt nicht jedem.

Tobias Bär
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Pierre Yves-Maillard war Waadtländer Regierungsrat – und will nun für die SP in den Nationalrat. (Bild: KEY)

Pierre Yves-Maillard war Waadtländer Regierungsrat – und will nun für die SP in den Nationalrat. (Bild: KEY)

Jakob Stark (SVP) im Thurgau, Heidi Z’graggen (CVP) im Kanton Uri oder Matthias Michel (FDP) im Kanton Zug – sie alle wollen im Herbst den Sprung von der Kantonsregierung ins Bundesparlament schaffen. Und sie alle zieht es in den Ständerat. Das ist aus mehreren Gründen naheliegend. Einerseits ist der Ständerat die Kammer der Kantone, während der Nationalrat das Volk repräsentieren soll. Der Ständerat geniesst zudem ein höheres Ansehen. Das zeigt sich nur schon ­daran, dass viele Politiker vom National- in den Ständerat wechseln, während den umgekehrten Weg niemand geht. Die Einflussmöglichkeiten in einem Saal mit 46 Mitgliedern sind ungleich grösser als im 200 Sitze zählenden Nationalrat.

Das alles ist eher nach dem Geschmack eines Politikers mit kantonaler Exekutiverfahrung. Der Anteil ehemaliger Regierungsräte ist in der kleinen Kammer denn auch wesentlich höher: Nicht weniger als 14 amtierende Ständeräte haben eine Vergangenheit in einer Kantonsregierung. In der anstehenden Sommersession erhält die Gruppe noch Zuwachs von den neu­gewählten Benedikt Würth (SG) und Daniel Fässler (AI). Und im Herbst kandidieren vom Kanton Jura bis Schaffhausen erneut mehrere Regierungsräte für die kleine Kammer.

Die Politikstile gleichen sich an

Doch es gibt auch jene, die «nur» in den Nationalrat gewählt werden wollen: Peter Gomm (SP) in Solothurn sowie Pierre-Yves Maillard (SP) und Jacqueline de Quattro (FDP) in der Waadt. Gomm fürchtet sich nicht vor dem Bedeutungsverlust: «Mit viel Engagement kann man auch im Nationalrat einiges bewirken», sagt der ehemalige Solothurner Sozialdirektor. Gomm sieht sich als Brückenbauer. Solche brauche es gerade im Nationalrat, in dem die Kompromissfähigkeit in der laufenden Legislatur besonders gelitten habe. «Der Ständerat alleine kann die Blockade in den Bereichen Schweiz-EU, Altersvorsorge und Gesundheitspolitik nicht lösen», sagt der SP-Politiker. Christoph Eymann (LDP) weiss, was der Wechsel von der kantonalen ­Exekutive in den Nationalrat mit sich bringt. Als Erziehungsdirektor des Kantons Basel-Stadt sei er verantwortlich gewesen für mehrheitsfähige Lösungen, das Parteibüchlein habe dabei eine untergeordnete Rolle gespielt. Als Nationalrat sei er viel stärker der Parteipolitik verpflichtet, so Eymann, der Mitglied der FDP-Fraktion ist. «Daran musste ich mich schon erst gewöhnen.»

Im Ständerat, wo weniger ideologisch und stärker konsensorientiert politisiert wird, ist der Kulturschock für Regierungsräte kleiner. Auch deshalb übt die «Chambre de réflexion» eine grössere Anziehungskraft auf Politiker mit Exekutiverfahrung aus. Gemäss Eymann gleicht sich der Politikstil der kleinen Kammer jenem des Nationalrats aber zunehmend an.

Geht es nach Urs Gasche, dann werden die Unterschiede bald ganz verschwunden sein. Mit der Einführung der elektronischen Abstimmung habe auch im Ständerat die Fraktionsdisziplin Einzug gehalten, sagt der BDP-Politiker. Es war diese Fraktionsdisziplin und die daraus folgende Blockbildung, mit der sich Gasche nach seinem Wechsel von der Berner Kantonsregierung in den Nationalrat im Jahr 2011 besonders schwertat. «Die Nationalräte stellen die eigene Positionierung und jene der Partei oft über die Landesinteressen. Das hat mich schon ein wenig schockiert,» sagt Gasche. Er trat während der laufenden Legislatur ­zurück und sagt offen, dass ihm der Rollenwechsel vom Exekutiv- zum Parteipolitiker nie ganz gelungen ist.

Der Ständerat gibt den Ton an

Im Herbst versucht es nun Gasches Parteikollegin Beatrice Simon (BE), die heutige Berner Finanzdirektorin. Wie ihre Basler Amtskollegin Eva Herzog (SP) kandidiert Simon sowohl für den Stände- als auch den Nationalrat. Auf dem Papier sind die beiden Kammern absolut gleichberechtigt. In der Praxis hat der Ständerat aber eine grössere Gestaltungsmacht: Er behandelt die ­Geschäfte häufiger als Erstrat, legt damit öfter die Stossrichtung fest. Und auch in der Differenzbereinigung dominiert der Ständerat: Der Nationalrat folgt häufiger den Beschlüssen des Ständerats als umgekehrt.