Die Schweiz braucht ein moderneres und schärferes Sexualstrafrecht. Das will auch der Bundesrat. Doch die Frage, ob der Grundsatz «Nein heisst Nein» oder «Nur Ja heisst Ja» gelten soll, sorgt für Konflikte.
Sein Opfer physisch oder psychisch zu einer Handlung zwingen – das ist nach heutigem Gesetz in der Schweiz Voraussetzung für eine Vergewaltigung. Mit der Revision des Sexualstrafrechts soll sich dies bald ändern. Künftig braucht es für den Straftatbestand der Vergewaltigung weder Gewalt noch Drohung oder psychischen Druck. Es genügt, dass der verbal oder nonverbal geäusserte Wunsch des Opfers missachtet wird.
Dieser Grundsatz des «Nein heisst Nein» soll Grundlage des neuen Sexualstrafrechts sein. So schlägt es die Rechtskommission des Ständerats vor, und so will es auch der Bundesrat. Dafür erntet er Kritik von Frauenvereinigungen, Menschenrechtsorganisationen und Strafrechtlerinnen sowie von den SP-Frauen und den Grünen. Sie fordern eine Zustimmungslösung nach dem Grundsatz «Nur Ja heisst Ja». Das bedeutet: Sexuelle Handlungen sind nicht nur strafbar, wenn das Opfer Nein sagt, sondern bereits, wenn eine explizite Zustimmung fehlt.
Für die Genfer Grünen-Ständerätin Lisa Mazzone geht die «Nein ist Nein»-Lösung, wie sie der Bundesrat will, nicht weit genug. Besonders die Fälle von sogenanntem «Freezing», wo das Opfer eines sexuellen Übergriffs in eine Schockstarre gerät, seien nicht als Vergewaltigung erfasst: «Das Opfer kann in diesem Moment weder ein verbales noch ein nonverbales Nein äussern», erklärt Mazzone. Mit der «Nur Ja heisst Ja»-Lösung dagegen wäre klar, dass in Freezing-Fällen die Zustimmung fehlt.
Zudem müsse man den Fokus in Strafverfahren vom Opfer zum Täter verschieben: «Bisher – und das würde mit der ‹Nein heisst Nein›-Lösung so bleiben – musste das Opfer zeigen, dass es Nein gesagt hat.» Mit der Zustimmungslösung liege der Fokus auf dem Täter: Er müsste erklären, weshalb er von einer Zustimmung ausgegangen ist.
Grundsätzlich ist Lisa Mazzone «sehr froh» über die Gesetzesrevision. Die geschlechtsneutrale und ausgedehnte Definition der Vergewaltigung sei ein riesiger Schritt hin zu einem modernen Sexualstrafrecht.
Doch eine kürzlich von Amnesty International publizierte Studie habe aufgedeckt, dass problematische Ansichten in der Schweiz weit verbreitet seien: Jede fünfte Person empfindet es mindestens eher als Einwilligung zu Sex, wenn das Gegenüber irgendwann früher einmal zugestimmt hat. «Das ist schockierend. Es zeigt, wie nötig die Debatte um die Zustimmung ist», erklärt Mazzone. Sie kommt zum Schluss:
«Die Zustimmungslösung ist der einzige Weg, um die sexuelle Selbstbestimmung wirklich zu schützen.»
Anders sieht dies der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni. «An den zentralen Punkten der Reform vorbei» gehe die Diskussion um Zustimmungs- oder Vetolösung, sagt er:
«Das wird stark hochgekocht, aber in der Praxis ist der Unterschied bescheiden.»
Die Fälle von «Freezing» seien schon im heutigen Sexualstrafrecht erfasst - unter dem Tatbestand der Schändung. Dieser kommt zur Anwendung, wenn ein Opfer wehrlos ist und der Täter das vorsätzlich ausnützt. Das sei heute schon eine schwere Straftat, die entsprechend hart geahndet werde.
Sodann gebe es bei Sexualdelikten viele Grauschattierungen. Es seien meistens Vieraugendelikte, und die Beweislast liege immer beim Staat. Auch daher wäre in der Rechtspraxis der Unterschied zwischen Zustimmungslösung und Ablehnungslösung gering, argumentiert Caroni.
Viel wichtiger als die Debatte um «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein» seien die grundsätzlichen Vorzüge der Gesetzesreform, erklärt Caroni. Bisher habe es nur zwei Stufen gegeben: Sexuelle Belästigung und die Nötigungsdelikte, wozu die Vergewaltigung gehört. «Nun schaffen wir mit dem ‹sexuellen Übergriff› eine Zwischenstufe, mit der sexuelle Delikte auch ohne Nötigung hart bestraft werden. Das ist eine grosse Errungenschaft», sagt Caroni. Zusammen mit der Ausdehnung des Vergewaltigungsbegriffs sei das eine bedeutende Verschärfung des Sexualstrafrechts.