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Schweiz
Im Gegensatz zum Bund spricht sich Ex-Diplomat Paul Widmer dafür aus, die geplanten Auftritte türkischer Politiker zu untersagen. Diplomatische Verstimmungen müsse die Schweiz in Kauf nehmen.
Interview: Tobias Bär
Paul Widmer, türkische Minister und Parlamentarier wollen vor Landsleuten in der Schweiz für die Verfassungsreform von Erdogan werben. Soll ihnen die Schweiz eine Plattform bieten?
Es ist grundsätzlich an der Schweiz zu entscheiden, welche Tätigkeiten sie auf ihrem Territorium dulden will und welche nicht. Gegen ein Verbot spricht das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit. Dieses wurde in den vergangenen Jahren hierzulande sehr hoch gewichtet. Und als die Schweiz einmal davon abwich, indem sie den türkischen Nationalisten Dogu Perinçek wegen Rassendiskriminierung verurteilte, da wurde sie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Perinçek hat den Genozid an den Armeniern geleugnet. Das Werben für eine Verfassungsreform ist vergleichsweise harmlos und darf demnach erst recht nicht untersagt werden.
Es gibt Gründe, die für ein Verbot sprechen. Zum Beispiel den, dass sich die Gegner der Reform nicht im gleichen Ausmass an ihre Landsleute wenden können, weil viele von ihnen im Gefängnis sitzen. Das muss man berücksichtigen. Ich tendiere deshalb zu einem Verbot.
Und wie soll dieses durchgesetzt werden? Es ist ja kaum denkbar, dass die Schweiz dem türkischen Aussenminister die Einreise verweigert?
Nein, das würde auf jeden Fall zu weit führen. Wollen die Behörden einen Auftritt untersagen, dann gibt es dafür nur eine mögliche Begründung: die Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit. Dass das ist in diesen Fällen nicht an den Haaren herbeigezogen wäre, haben die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken im Herbst 2015 in Bern gezeigt.
Auch die Zürcher Regierung spricht sich gegen den Auftritt des türkischen Aussenministers aus. Sie macht Sicherheitsbedenken geltend. Ist es nicht Aufgabe der Behörden, die Sicherheit ausländischer Minister zu gewährleisten?
Wenn es sich um einen offiziellen Auftritt handelt, dann ist es sogar ihre Pflicht. Der Besuch des türkischen Aussenministers war aber als Treffen mit türkischen Generalkonsulen und mit Mitgliedern der türkischen Gemeinschaft angekündigt. Er wurde also nicht als offizieller oder öffentlicher Anlass ausgewiesen.
In Deutschland haben die Behörden solche Aufritte untersagt. Das hat zu schweren Verstimmungen geführt. Müsste auch die Schweiz mit einem diplomatischen Zerwürfnis rechnen?
Angesichts der scharfen Politik, welche die Türkei derzeit betreibt, würde ein Auftrittsverbot die diplomatischen Beziehungen sicher belasten. Aber wenn die Behörden gute Gründe für ein Verbot vorbringen können, dann muss man das vielleicht in Kauf nehmen. Es geht um einen innertürkischen Konflikt. Weder Deutschland noch die Schweiz haben ein Interesse daran, dass dieser auf ihrem Staatsgebiet ausgetragen wird.
Der Innerrhoder CVP-Nationalrat Daniel Fässler will Auftritte ausländischer Redner an politischen Veranstaltungen einer Bewilligungspflicht unterstellen. Was halten Sie von dieser Forderung?
Ich habe Verständnis dafür. Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit stellt sich tatsächlich die Frage, ob eine solche Bewilligungspflicht eingeführt werden soll, wie sie bis zum Ende der 1990er-Jahre gegolten hat.
Türkische Diplomaten, darunter offenbar die Nummer zwei der türkischen Botschaft in Bern, haben aus Angst vor Repressionen des Erdogan-Regimes in der Schweiz Asyl beantragt. Darf die Sorge um die diplomatischen Beziehungen eine Rolle spielen bei der Beurteilung dieser Asylgesuche?
Das ist eine delikate Ausgangslage. Wenn die Diplomaten an Leib und Leben bedroht sind, dann dürfen sie nicht in die Türkei zurückgeschickt werden. Und diese Gefahr besteht, wenn man sich anschaut, wie die Erdogan-Regierung mit angeblichen Anhängern der Gülen-Bewegung umgeht. Gewährt die Schweiz diesen Personen aber Asyl, dann sind diplomatische Verwerfungen garantiert. Eine Möglichkeit wäre, mit der Behandlung der Asylgesuche zuzuwarten und auf Zeit zu spielen.
Zur Person
Paul Widmer war unter anderem Botschafter in Kroatien und Jordanien. Heute ist er Lehrbeauftragter für internationale Beziehungen an der Uni St. Gallen.