Die SBB wollten ihre neuen Doppelstöcker unbedingt fit fürs Ausland machen – und verkomplizierten damit alles. Doch wie werden die Züge nun grenzüberschreitend eingesetzt?
Mit ihrem neuen Doppelstockzug wollten die SBB alte Grenzen sprengen. 59 Kompositionen des Typs FV-Dosto bestellten die Bundesbahnen im Jahr 2010 für 1,9 Milliarden Franken beim Bahnbauer Bombardier. Der Zug sollte so konstruiert werden, dass er auch über die Grenze nach Deutschland und Österreich fahren kann – mit den bisheri- gen Doppelstock-Schnellzugwagen ist dies nicht möglich.
Doch unterdessen stossen die SBB an ganz andere Grenzen: Der FV-Dosto sorgt vor allem als Pannenzug für Schlagzeilen. Seine Auslieferung verzögert sich seit fünf Jahren. Erst seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2018 verkehren die ersten zwölf FV-Dosto im fahrplanmässigen Betrieb, wegen technischer Probleme sind sie aber nur eingeschränkt einsetzbar. Die ausgelieferten FV-Dosto sind bislang erst auf Interregio-Nebenstrecken unterwegs.
Zwar bekundeten die SBB und Bombardier jüngst gemeinsam ihren Willen, die Züge bald planmässig zum Einsatz zu bringen. Allerdings dürften sie kaum vor dem Sommer auf der Paradestrecke St.Gallen–Genf unterwegs sein. Weitere Züge wollen die SBB erst übernehmen, wenn sie weniger Störungen verzeichnen. An eine geordnete Planung ist noch nicht zu denken.
Der Umstand, dass die Züge auch auf ausländischen Schienen verkehren sollen, verkomplizierte die Bestellung der FV-Dosto von Anfang an – und ist nun mitverantwortlich für dessen Probleme. Wegen der Auslandoption mussten die Zugseinstiege nämlich an jene der Nachbarländer angepasst werden. In der Schweiz sind die Perrons gut 20 Zentimeter tiefer. Der FV-Dosto sollte, so das ambitionierte Ziel der SBB, der erste Zug mit niveaugleichem Einstieg im grenzüberschreitenden Verkehr werden. Das Resultat: Der Zug hat eine steile Einstiegsrampe, die selbst kräftige Rollstuhlfahrer nur schwer überwinden können. Die SBB und Behindertenverbände streiten sich deswegen seit Jahren, allein die Gerichtsakten umfassen Tausende Seiten. Nicht zuletzt deswegen verzögerte sich die Inbetriebnahme der FV-Dosto. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine Beschwerde von Inclusion Handicap jüngst in fast allen Punkten ab, die Organisation hat den Entscheid ans Bundesgericht weitergezogen. Der umstrittenen Einstiegsrampe zum Trotz: Derzeit dürfen die FV-Dosto noch gar nicht auf deutschen oder österreichischen Schienen verkehren. Die Betriebsbewilligung des Bundesamts für Verkehr (BAV) ist befristet und enthält keine Zulassung fürs Ausland. «Die dafür erforderlichen Nachweise liegen aktuell noch nicht vor», bestätigt BAV-Sprecherin Florence Piclet. Die internationale Zertifizierung von Zügen ist anspruchsvoll. Das BAV arbeitet mit den Behörden in Deutschland und Österreich zusammen. Einzelne Komponenten werden nur von einer Behörde geprüft, die Zulassung wird gegenseitig anerkannt. Immerhin: Das BAV rechnet damit, dass die Zulassung für die beiden Nachbarländer bald vorliegen wird. «Im Laufe des Jahres 2019», sagt Florence Piclet.
Die internationale Ausrichtung der neuen Doppelstöcker sorgte bereits bei ihrer Bestellung vor zehn Jahren für Fragezeichen. Dieser Aspekt erschwere die Beschaffung, kritisierten Verkehrspolitiker damals. Von der Möglichkeit jedoch, nur einen Teil der FV-Dosto für den internationalen Verkehr aufzurüsten, wollten die SBB schon in ihrer Ausschreibung nichts wissen. «Heute rächt es sich, dass sich die SBB stur so viele Optionen offen halten wollten», sagt ein mit der Angelegenheit befasster Bahnfachmann, der nicht genannt werden möchte. Den FV-Dosto gibt es in einer Ausführung für den Intercity-Verkehr und in zwei für den Interregio-Verkehr. Für alle drei Typen wolle man eine internationale Zulassung, bekräftigt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi auf Anfrage.
Bis der erste Zug ins Ausland fährt, wird es aber noch viele Jahre dauern. Die SBB verweisen auf ihr Angebotskonzept, wonach die Züge ab 2030 auf der Strecke von Zürich nach München eingesetzt werden sollen. Auf einem 155 Kilometer langen Streckenabschnitt in Deutschland verkehren heute noch Diesel-Loks, er wird bis im kommenden Jahr elektrifiziert. Zu möglichen weiteren Einsatzgebieten des FV-Dosto im Ausland äussern sich die SBB nicht. Mit den europäischen Partnerbahnen führe man laufend Gespräche, heisst es wolkig. Kritik an ihrem Vorgehen weisen die Bundesbahnen zurück. Sprecher Pallecchi unterstreicht die Lebensdauer der Züge von 40 Jahren. Die SBB bräuchten «Flexibilität und Unabhängigkeit am Markt», wie sie in einem Statusbericht zum FV-Dosto schreiben. Man wolle auch zukünftig in der Lage sein, mit eigenem Rollmaterial grenzüberschreitende Verbindungen anbieten zu können.