«Nichts ist für ewig. Weder das Cannabis-Verbot, noch die Berliner Mauer» – Ruth Zwahlen kämpft seit 20 Jahren für die Cannabis-Legalisierung

Ruth Zwahlen ist seit über 20 Jahren eine unerschrockene Kämpferin für die Hanf-Legalisierung. Das geht so weit, dass sie schon mal aus dem Bundeshaus komplimentiert wird.

François Schmid-Bechtel
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Ruth Zwahlen in ihrem Hanfmuseum. (Bild: Alex Spichale)

Ruth Zwahlen in ihrem Hanfmuseum. (Bild: Alex Spichale)

Nix Email. Nix Kopie. Die Frau hat weder Handy noch Internet, aber einen wachen Verstand. Jeder Brief von Hand geschrieben. Einladung zum Gedenktag "67 Jahre THC-Verbot in der Schweiz", steht drauf. Und: Tag der offenen Tür im Hanfmuseum. Darunter die Gästeliste. 25 Namen. Illuster. Beispielsweise Ruth Dreifuss, Simonetta Sommaruga und Alain Berset. Aber auch Leute, die wegen Hanfanbau schon in der Kiste schmorten.

Die Promis lassen sich an diesem Oktober-Tag im aargauischen Tägerig nicht blicken. Vielleicht hat Ruth Zwahlen insgeheim ein kleines bisschen gehofft, sie würden aufkreuzen. Aber so richtig damit gerechnet hat sie kaum. Egal. Sie sorgt eh dafür, dass Politiker und Beamte sie und ihre Mission nicht vergessen. Denn jedes Jahr trägt sie aus ihren 284 Bundesordnern "Hanf + Politik" die aktuellsten und wichtigsten Fakten zusammen und versendet ein Dossier an etwa 200 ausgewählte Menschen. Darunter Hanf-Freunde, aber auch Hanf-Gegner. Auch wenn der letzte Joint seit Jahrzehnten verglimmt ist: Ruth Zwahlen, 69-jährig, wird in dieser Sache erst verstummen, wenn der Hanf legalisiert oder sie gestorben ist.

Die Argwohn gegenüber den Behörden

Ein Reihenhaus in Neuenhof AG. Drei Kinder. Die Mutter Hausfrau. Der Vater arbeitet bei der BBC. Erst als Kalkulator, dann als Betriebsleiter. Später nimmt die Familie einen Pflegebub auf. Der Bub wirkt verstört, ist nach nur wenigen Monaten weg. Ruth Zwahlen weiss nicht wieso und wohin. Aber sie konstatiert, dass es der Mutter schlechter geht. Die Mutter kommt ins Spital Baden, wo ihr eine Schlafkur verordnet wird. Als Ruth Zwahlen neuneinhalb ist, bekommt sie die Nachricht, dass ihre Mutter sich das Leben genommen hat. Fortan ist sie die Frau im Haus.

Trotz Hausarbeit beendet sie die Schule. Lernt Verkäuferin, findet die Hippies toll und das Bürgertum furchtbar langweilig. "Die Gespräche in den mittelständischen Familien drehten sich nur darum, wer ein neues Sofa, einen Kühlschrank oder ein Auto gekauft hat." Ruth Zwahlen flieht. Mal nach Barcelona, wo sie mit 20 den ersten Joint raucht. Oder einfach nur nach Zürich an die Riviera, wo die Jungen unter sich sind. Ob es bereits mit dem Tod ihrer Mutter ("falsche Behandlung"), als Teenager ("von einem Zungenkuss kann man schwanger werden") oder nach den ersten Joints ("wer Hanf raucht, schlittert in die harten Drogen") begann, weiss sie nicht genau. Unbestritten ist: Bis heute ist sie den Behörden gegenüber argwöhnisch.

Mit 27 lernt sie ihren Mann kennen. Mit dem bisschen Geld, das sie haben, kaufen sie einen gebrauchten VW-Bus mit kaputtem Rückwärtsgang und fahren los. Planlos, ziellos. Türkei, Iran, Pakistan, Afghanistan, Nepal, Indien. "Die Einheimischen dachten, bei uns herrsche eine Hungersnot. So verlumpt waren die europäischen Touristen teilweise." Doch sie kehren zurück. Glücklich, selbstbewusst und schwanger. Spätestens nach dem Asien-Trip ist Ruth Zwahlen klar: Einen Rückwärtsgang braucht sie nicht.

Mit voller Kraft voraus

Mit der Schweizer Drogenpolitik befasst sich Ruth Zwahlen erst, nachdem ihre drei Kinder erwachsen sind. Als sie mit ihrer Tochter nach Amsterdam fährt und dort die vielen Coffee-Shops sieht, denkt sie: Das müsste in der Schweiz eigentlich auch möglich sein. In dieser Zeit betreibt sie in Mellingen eine Brockenstube. Per Zufall erfährt Fritz Meier, Präsident der Schweizer Hanfbauern, dass Zwahlen in ihrem Geschäft Hanf-Produkte wie Tee und Seife verkaufen wolle. Das ist zwar bloss ein Gerücht. Aber Ruth Zwahlen nimmt Meiers Einladung an. Wenig später stehen neben antiken Möbeln auch Hanf-Kosmetika und Hanf-Lebensmittel im Schaufenster von Zwahlens Brockenstube.

Bald tritt sie der Schweizer Hanf Koordination und dem Verein "Legalize it" bei, engagiert sich 1997 im Abstimmungskampf gegen die Initiative "Jugend ohne Drogen" ("mehr als verbieten, was schon damals der Fall war, kann man ja nicht") und ein Jahr später für die Droleg-Initiative (für eine vernünftige Drogenpolitik). Ruth Zwahlen erlebt mit dem Nein zu Droleg eine schmerzliche Schlappe. Aber eben: Den Rückwärtsgang kennt sie nicht mehr. Volle Kraft voraus. Mal campiert sie zwei Wochen vor einem Winterthurer-Gefängnis, weil "fünf Hanfgärtner zu Unrecht" einsitzen. Mal zeigt sie einen Bezirksrichter an, weil sie findet, der Bevölkerung Angst vor dem Hanf einzujagen sei auch strafbar. Oder sie verlangt in einem Schreiben an Bundesrat Didier Burkhalter eine PUK, weil der Bund ihrer Meinung nach im Abstimmungskampf "Für eine vernünftige Hanf-Politik mit wirksamem Jugendschutz" mit falschen Fakten operiert hat. Was ein hoher Beamter in der brieflichen Antwort auf ihre PUK-Forderung teilweise sogar bestätigt.

Sie wähnte sich einmal schon am Ziel

Ruth Zwahlen kramt in einem Zimmer ihres Hanfmuseums zwei Spielzeug-Autos hervor. Das eine ist mit Polizei, das andere mit Ambulanz beschriftet. "Egal, um welche Sucht es sich handelt. Zu wem gehen Süchtige, wenn sie ein Problem haben?" Sie stört sich daran, dass "800 Millionen Franken Steuergelder jährlich in die Repression fliessen. Das ist tragisch. Denn einerseits könnte man einen grossen Teil dieser Summe gescheiter einsetzen. Andererseits ist Sucht eine Krankheit und kein Verbrechen. Ausserdem: Allein der Schweizer Hanfmarkt ist etwa 600 Millionen schwer. Würde man den Markt legalisieren, brächte das wiederum viele Steuermillionen ein. Kurz: Mit einer intelligenteren Politik würde man nicht nur viel Geld sparen, sondern auch viel Geld einnehmen."

Anfang der Nullerjahre wähnt sich Zwahlen schon beinahe am Ziel. Es ist eine Zeit, in der Hanfbauern von der Polizei nicht mehr besucht werden. Und Hanfläden ihr Gras verkaufen, als würde es sich um zuckerfreie Kaugummis handeln. Der Handel blüht und die Ordnungshüter schauen zu. Denn politisch, so scheint es, stehen die Ampeln auf Grün. "Unsere Idee war ein Label zu kreieren, an das sich alle Shops und alle Produzenten in der Schweiz halten. Kein Verkauf an Jugendliche. Keine anderen Substanzen. Keine Importprodukte."

Im Juni 2004 reist Ruth Zwahlen regelmässig von Tägerig nach Bern, um vor dem Bundeshaus für die Hanf-Legalisierung zu demonstrieren. Drinnen beraten die Räte über die Revision des Betäubungsmittelgesetzes, welches eine Entkriminalisierung von Cannabis vorsieht. Am Tag, als der Nationalrat die Vorlage behandelt, sitzt Zwahlen drinnen auf den Zuschauerrängen. Sie glaubt, auch die Mehrheit der Politiker hätte eingesehen, dass der Drogenkrieg gescheitert ist. Doch dann passiert, was sie nicht für möglich gehalten hatte. Der Nationalrat beschliesst, nicht auf die Vorlage einzutreten. Da platzt Ruth Zwahlen der Kragen. Mit einer Trillerpfeife macht sie so lange Radau, bis ein Sicherheitsmann kommt und sie entschieden hinaus komplimentiert.

Nachdem der Nationalrat nichts von Cannabis wissen will, schwärmen die Polizisten wieder aus. Führen Razzien durch, beschlagnahmen Ernten, lassen Läden schliessen, bringen Händler und Produzenten vor Gericht. "Eine Sauerei", findet Zwahlen. "Der Absinth wird nach fast 100 Jahren Verbot von den Politikern legalisiert, aber Cannabis verteufeln sie."

Natürlich sind nicht alle gleich, findet Zwahlen. Einer ganz besonders nicht: Urs Hofmann, der Aargauer Justizdirektor. Sie freut sich, wie er "still und leise" einen Bundesgerichts-Entscheid durchsetzt, der besagt, dass Volljährige nicht mehr bestraft werden, wenn sie maximal 10 Gramm Cannabis mitführen. "Ist doch schön, wenn man einen Hoffnungsschimmer hat", sagt Zwahlen. "Nichts ist für ewig. Weder das Cannabis-Verbot, noch die Berliner Mauer."