«Pierre» lächelte, «Eveline» nicht

Bundesrätin Widmer-Schlumpf und ihr französischer Amtskollege Pierre Moscovici haben in Paris ein umstrittenes Erbschaftsabkommen unterzeichnet. Ein Referendum wollen sie nicht in Betracht ziehen.

Stefan Brändle
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Unterwegs zur Unterschrift: Der französische Finanzminister Pierre Moscovici und Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. (Bild: epa/Ian Langsdon)

Unterwegs zur Unterschrift: Der französische Finanzminister Pierre Moscovici und Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. (Bild: epa/Ian Langsdon)

PARIS. Der Beweis ist wieder einmal erbracht: Zwei Personen sehen nicht unbedingt das Gleiche, wenn sie das Gleiche betrachten. Der französische Wirtschaftsminister Pierre Moscovici war gestern Feuer und Flamme für das neue Erbschaftssteuer-Abkommen zwischen Frankreich und der Schweiz. «Mit Vergnügen und Stolz» lobte er den «sehr wichtigen Text», der das Tor zu weiteren Abkommen in Steuerfragen eröffne, und bat «Eveline» lächelnd zur Unterzeichnung.

Ohne Gesichtsregung

Die angesprochene Bundesrätin Widmer-Schlumpf begrüsste das neue Abkommen weniger überschwenglich. Ohne Gesichtsregung signierte sie den Abkommenstext vor zahlreichen Diplomaten und Journalisten. In der kurzen Begleitrede meinte sie völlig undiplomatisch, aber dafür umso aufrichtiger: «Natürlich hätten wir das bisherige Erbschaftsabkommen aus dem Jahre 1953 lieber bewahrt.»

Frankreich hatte das sechzig Jahre alte Abkommen aber nicht verlängert, sondern mit Nachdruck eine Neuverhandlung verlangt. Der Hauptunterschied zum alten Erbschaftsabkommen besteht darin, dass nicht mehr der Standort der vererbten Liegenschaft, sondern der Wohnsitz des Erben bestimmt, welches Erbrecht zur Anwendung kommt. Das ändert sehr viel: Die Zehntausende Franzosen oder Schweizer, die in Frankreich wohnen, aber in der Schweiz ein Haus oder Wertgegenstände wie Goldbarren erben, müssen dies neu in Frankreich versteuern.

Dort können die Steuern bis zu 45 Prozent erreichen. Im Visier hat der französische Fiskus unter anderem die Liegenschaften wohlhabender Steuerflüchtlinge wie Johnny Hallyday oder Alain Prost. Die viel tiefere Erbschaftssteuer der Kantone bleibt bestehen und wird angerechnet, so dass die Schweiz finanziell keinen Verlust erleiden soll.

Kampf gegen Steuerflucht

Das Umgekehrte – wenn in der Schweiz wohnhafte Bürger ein Ferienhaus in Frankreich erben – gilt zwar auch zugunsten des Schweizer Fiskus. Doch das schenkt viel weniger ein. Moscovici erklärte auf eine Journalistenfrage reichlich blauäugig, er habe nie ausgerechnet, ob Frankreich von dem neuen Abkommen profitieren werde. Es gehe generell darum, die Rechtslücken in dem alten Abkommen zu schliessen. Damit verbunden sei auch der Kampf gegen Steuerflucht und -betrug, führte Moscovici weiter aus. Frankreich sehe das Erbschaftsabkommen nur als Teil einer ganzen «Revolution», die in den automatischen Austausch von Steuerdaten gipfeln soll. Widmer-Schlumpf erklärte, die Schweiz verschliesse sich nicht grundsätzlich, verlange aber die Anwendung der OECD-Standards für den automatischen Steueraustausch. Die beiden Minister einigten sich auf die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, die offene Fragen regeln soll: Amtshilfe Steuersachen, Regularisierung unversteuerter Vermögenswerte, Pauschalbesteuerung sowie das Steuerstatut des Flughafens Basel-Mülhausen. Zuvor muss das Erbschaftsabkommen allerdings noch die parlamentarische Hürde in Bern nehmen. Westschweizer Kreise und Kantone drohen zudem bereits mit dem Referendum. Gefragt, wie Frankreich im Fall einer Zurückweisung durch den eidgenössischen Souverän reagieren würde, meinte Moscovici, er denke vorläufig nicht an diese Eventualität.