Es gibt keinen Anspruch, dem Schwimmunterricht aus religiösen Gründen fernzubleiben. Das Grundsatzurteil des Bundesgerichts stösst auf breite Zustimmung.
Jahrelang gaben Dispensationen vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen Anlass zu hitzigen Diskussionen. Die Geister schieden sich an der Frage, ob die Religionsfreiheit einerseits oder die Integration in die schweizerische Gesellschaft wie auch die Respektierung von Grundwerten wie die Gleichstellung der Geschlechter andererseits höher zu gewichten sei.
Nun hat das Bundesgericht einen Entscheid von 1993 umgestossen und ein neues Grundsatzurteil gefällt. Künftig gibt es kein Anrecht mehr auf eine Dispens vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen. Die Kantone sind aber frei, trotzdem Ausnahmen zu bewilligen. Die Lausanner Richter begründen ihren Entscheid mit den veränderten sozialen Verhältnissen. Schwimmunterricht sei heute in vielen Kantonen obligatorisch. Würde man Kinder davon dispensieren, würde das den Integrationsbemühungen zuwiderlaufen. So sei das öffentliche Interesse der Teilnahme am gemischtgeschlechtlichen Unterricht höher zu gewichten als religiöse Interessen.
Konkret wies das Gericht die Beschwerde eines Vaters von zwei Knaben moslemischen Glaubens ab. Der Vater der beiden heute elf- und dreizehnjährigen Knaben hatte im Herbst 2006 den Schulrat Schaffhausens ersucht, seine Söhne vom Schwimmunterricht zu dispensieren. Er verwies darauf, dass seine Familie dem Islam angehöre und ein geschlechtlich gemischter Schwimmunterricht mit ihren religiösen Überzeugungen nicht vereinbar sei. Sowohl der Schulrat als auch später das Schaffhauser Kantonsgericht wiesen die Beschwerde ab. Der Vater hat darauf den Fall ans Bundesgericht weitergezogen. Der Anwalt der Familie kündigte gestern an, das Urteil des Bundesgerichts vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg anzufechten.
Das Bundesgericht erhält für sein Urteil viel Applaus. «Der Entscheid ist hervorragend», sagt die St. Galler Justizdirektorin Karin Keller-Sutter auf Anfrage. Nun wünsche sie sich, dass die Lausanner Richter auch in anderen ausländerpolitischen Fragen den Integrationskriterien noch ein stärkeres Gewicht gäben. Zudem sei es nötig, auf Bundesebene das Ausländergesetz anzupassen. Die Erteilung der Niederlassungsbewilligung soll nicht mehr wie heute fast ausschliesslich an die Aufenthaltsdauer einer Person gebunden sein, sondern in erster Linie vom Grad der Integration abhängig gemacht werden. Die St. Galler Regierungsrätin Keller-Sutter hofft auf einen entsprechenden Gegenvorschlag zur Ausschaffungs-Initiative der SVP.
Auch die eidgenössische Kommission für Migrationsfragen begrüsst das Lausanner Urteil. «Gerade im Schwimmunterricht könnten Knaben den Umgang mit dem anderen Geschlecht lernen», sagt Geschäftsführerin Simone Prodolliet auf Anfrage. Grundsätzlich positiv äussert sich auch die Kommission gegen Rassismus. Auf den ersten Blick nehme das Urteil «eine vertretbare Abwägung zwischen der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie dem Integrationsgedanken» vor, sagt Tarek Naguib, der stellvertretende Leiter der Kommission. Naguib betont aber, dass sich die Schweizer Schulen den unterschiedlichen kulturellen Bedürfnissen vermehrt öffnen sollten. Zustimmung erhält das Bundesgericht für einmal sogar von der SVP. «Dass unsere Regeln für alle gelten, fordern wir schon lange», sagt Parteisprecher Alain Hauert.
Die Bundesrichter halten indes fest, das Urteil sei nicht gegen die Moslems oder die Religionsfreiheit gerichtet. Es gehe vielmehr darum, die Schule zu stärken, damit diese ihren Integrationsauftrag erfüllen könne.