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Weg mit den Masken, Schluss mit Quarantäne, fertig mit Abstandhalten: Die deutschen Forscher Sucharit Bhakdi und Karina Reiss sagen, weshalb sie die Coronamassnahmen total falsch finden – und nehmen Stellung zur Kritik, ihre Ansichten seien wissenschaftlich nicht haltbar.
Beim Publikum kommen Sucharit Bhakdi und Karina Reiss gut an. Ihr Buch «Corona Fehlalarm?» hat sich schon über 200'000 Mal verkauft und steht seit Wochen zuoberst auf der «Spiegel»-Beststellerliste der Taschenbücher. Wissenschafter und Universitäten hingegen distanzieren sich vom deutschen Forscherehepaar. Als Sohn des ersten thailändischen Botschafters in der Schweiz hat Bhakdi vier Jahre als Kleinkind in der Schweiz verbracht und beste Erinnerungen an diese Zeit.
Zum ersten grossen Interviewtermin für eine Schweizer Zeitung begrüssen sie die Journalisten mit freundlichem Händedruck im Hotel Vitznauerhof. Am Donnerstagabend hielten Bhakdi und Reiss im luzernischen Vitznau auf Einladung des Rotary Club Küssnacht-Rigi-Meggen einen Vortrag über das Coronavirus.
Sucharit Bhakdi, Sie sind Befürworter des schwedischen Wegs ohne Lockdown, auch nicht in der heissen Phase der Pandemie. Bloss: Die Zahl der Todesfälle bei älteren Menschen, vor allem in den Alters- und Pflegeheimen, war sehr gross. War diese Strategie nicht fahrlässig?
Bhakdi: Die Schweden haben nicht mutwillig die Senioren wegsterben lassen. Unsere schwedischen Kollegen haben uns das Problem erläutert: Ein grosser Teil des Pflegepersonals stammt aus dem Ausland und beherrscht die Landessprache zu wenig gut. Diese Menschen konnten die Instruktionen nicht lesen und wurden unzureichend instruiert. Das hat Schweden realisiert und gibt jetzt Gegensteuer.
Covid-19 ist Ihrer Meinung nach nicht gefährlicher als die normalen Grippeviren. Woran machen Sie diese Aussage fest?
Bhakdi: Wenn eine neue Pandemie im Umlauf ist, stellt sich ein Infektiologe als erstes eine der folgenden Frage: Wie viele gesunde, jünger als 70 Jahre alte Menschen ohne Vorerkrankungen sterben? Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Mit oder ohne dieses Virus sind in Deutschland weit unter ein Prozent dieser Altersgruppe gestorben, jene mit Vorerkrankungen mitgezählt.
Die meisten Forscher gehen bei Covid-19 aber von einer klar erhöhten Infektionssterblichkeit von über 0,5 bis gegen ein Prozent aus, bei der Grippe sind es durchschnittlich nur 0,1.
Bhakdi: Covid-19 ist keine ungewöhnlich gefährliche Infektionskrankheit. Es gibt keine aussergewöhnlich hohe Sterblichkeit. Bei Menschen unter 70 Jahren liegt sie sogar eher tiefer als bei der Grippe. Wenn ein richtig gefährliches Virus zirkuliert wie SARS oder MERS, dann sterben daran auch junge Menschen. Wir behaupten nicht, das Coronavirus richte keine Schäden an, aber es ist kein Killervirus, das die ganze Welt bedroht. Deshalb sollte man diesem Virus auch keine unverhältnismässig hohe Bedeutung beimessen.
Reiss: Es gibt mittlerweile einen wissenschaftlichen Konsens, dass die Sterblichkeit bei Covid-19 zwischen 0,1 bis 0,5 Prozent liegt. Jetzt wenden einige Wissenschafter ein, bei der Grippe betrage sie in der Regel zwischen 0,1 bis 0,2 Prozent. Nur: Bei schweren Grippejahren steigt die Mortalität aber über ein Prozent. Bei solchen Grippewellen hat aber noch keine Regierung die ganze Wirtschaft an die Wand gefahren und Massnahmen verhängt, die das Zusammenleben erschüttern und die Menschen verängstigen.
Karina Reiss (45) forscht und lehrt an der Universität zu Kiel, bis vor kurzem zusammen mit ihrem Mann und Co-Autor, Sucharit Bhakdi. Professorin Reiss ist seit über 15 Jahren auf dem Gebiet der Biochemie, Infektionen, Zellbiologie und Medizin tätig. Sie publiziert in internationalen Fachzeitschriften und hat für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten. Der emeritierte Professor Sucharit Bhakdi (73) ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Er leitete 22 Jahre lang das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Mainz, war in der Patientenversorgung, Forschung und Lehre tätig. Er hat über 300 wiederholt ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeiten in Immunologie, Bakteriologie, Virologie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen veröffentlicht. (jem)
Wie erklären Sie das einer am Coronavirus erkrankte Person, die an Langzeitschäden leidet, auch Monate nach der Genesung beim Treppensteigen ausser Atem gerät und über permanente Müdigkeit klagt?
Bhadki: Die Geschichte mit den Langzeitschäden sind Spekulationen. Die kurze Zeit seit Ausbruch des Virus lässt zu dieser Frage keine seriösen Aussagen zu. Professor Klaus Püschel, Rechtsmediziner aus Hamburg, hat rund 180 verstorbene Covidpatienten obduziert. Sein Befund: Fast 50 Prozent dieser Menschen verstarben an Thromboembolien. Weshalb haben diese Leute so viele Thrombosen gehabt? Weil sie sich nicht mehr genügend bewegt haben. Wen wundert es, dass ältere Menschen Beinvenen-Thrombosen entwickeln, wenn man ihnen sagt: «Bleibt zu Hause!»?
Reiss: Bitte vergessen Sie nicht, wenn jemand eine Grippe hat – und ich rede nicht von einem grippalen Infekt, sondern von einer echten Grippe – dann fühlt der Patient sich oft wochenlang sterbenskrank und es kann Monate dauern, bis er wieder seinen alten Fitnesszustand erreicht. Das gibt es bei Covid-19 auch, aber es sind eher die Ausnahmen. Bedenken sie, dass bis zu 85 Prozent der Bevölkerung gar nicht gemerkt haben, dass sie mit dem Coronavirus infiziert waren.
Sie werden hart angegangen. Das Buch sei «wissenschaftlich nicht haltbar», die Rede ist von «vielen rhetorischen Fragen», «unspezifischem Geraune» und «viel Polemik». Die Fachschaft Medizin der Universität Kiel, wo sie forschen, mutmasst gar, es seien «Fakten absichtlich so verdreht, dass sie zur Kernaussausage des Buches passen». Was entgegnen Sie?
Bhakdi: Unter den Kritikern befinden sich auch viele meiner Studenten. Ich erinnere sie gerne an ihre ärztlichen Pflichten. Ein Arzt muss nach bestem Wissen und Gewissen zum Nutzen der Patienten handeln und Schaden von ihnen fernhalten. Dafür muss man abwägen, wann eine Therapie oder Massnahmen unverhältnismässig sind. Nach sechs Monaten Erfahrung mit dem Coronavirus wissen wir: Die Lockdown-Massnahmen schaden den Menschen viel mehr als das Virus. Wir wissen auch, dass Ärzte am Anfang bei der Behandlung Fehler begangen haben, zum Beispiel mit der invasiven Beatmung von Covidpatienten, von denen uns bekannte Intensivmediziner schon immer Abstand nahmen. Zum Glück haben sich die Behandlungsmethoden verbessert.
Reiss: Dass man uns Pauschalisierungen vorwirft, ist abstrus. Ich habe den Dekan an meiner Universität Mitte August gefragt, welche Fakten im Buch nicht stimmen. Die nächste Auflage geht bald in den Druck, Fehler korrigieren wir gerne. Ich warte bis heute auf eine Antwort. Die Universität will zwei unbequeme Stimmen ruhigstellen, anstatt einen wissenschaftlichen und offenen Diskurs zu pflegen.
Hat Sie der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit getroffen?
Reiss: Das Buch ist populärwissenschaftlich. Jeder soll es verstehen können, sogar Politiker. Wir haben den Inhalt nicht erfunden, unsere Aussagen sind durch Referenzen belegt.
Sie schreiben im Buch, Sie fühlten sich an die Zeit von vor 90 Jahren erinnert, als die Meinungsfreiheit abgeschafft und die Medien gleichgeschaltet wurden. Die Anspielung auf die Nazizeit ist nicht die einzige polemische Formulierung. Warum formulieren Sie nicht nüchterner, nicht wissenschaftlicher?
Reiss: In der Coronakrise sind so viele schlimme Sachen passiert. Familien konnten ihre kranken Angehörigen nicht besuchen. Menschen mussten monatelang auf Tumorbehandlungen warten, gleichzeitig waren die Spitäler leer.
Bhakdi: Wir waren richtig wütend, das musste einfach raus. Nun ist eine englische Version des Buches gerade erschienen, in der die polemischen Passagen entfernt worden sind.
Würden Sie das Buch heute anders schreiben?
Reiss: Wir wollten Fakten und Namen nennen. Dazu stehen wir nach wie vor. Die Polemik würden wir aber weglassen.
Behagt Ihnen die Rolle als Helden der Coronaskeptiker? Auch Verschwörungstheoretiker feiern Sie.
Bhakdi: Wir haben diese Rolle nicht gesucht, sondern das Buch aus einer wissenschaftlichen und emotionalen Notwendigkeit heraus geschrieben. Anscheinend ist eine Nachfrage da in der Bevölkerung. Es spüren viele, dass gewisse offizielle Informationen nicht richtig sind.
Sie betreiben einen eigenen Youtube-Kanal, Beiträge von Ihnen sind dort gelöscht, faktisch zensuriert worden. Die Süddeutsche Zeitung resümierte verschiedene mediale Faktenchecks so: Was Sie sagen, sei nicht völlig falsch, jedoch vermischten sie Fakten mit Spekulation und Desinformation. Warum treten Sie nicht in den Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender auf?
Bhakdi: Wir haben bisher nie eine Einladung erhalten. Die öffentlich-rechtlichen Sender erhielten deswegen viele Publikumsanfragen. Es wurde sogar eine Petition eingereicht mit der Forderung, auch kritische Experten einzuladen. Reiss: Es gibt sie, viele skeptische Mediziner, doch getrauen sich nicht, in die Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Die Angst vor behördlichen Konsequenzen wie Jobverlust ist zu gross.
Reden wir über Entwicklung der Impfstoffe...
Reiss: ...Impfungen sind grundsätzlich ein unglaublicher Fortschritt in der Medizin. Denken Sie an Diphtherie oder Tetanus. Bei Impfungen muss abgewogen werden zwischen dem Nutzen und dem potenziellen Schaden. Bei der Hochgeschwindigkeitsentwicklung des Covid-19-Impfstoffs werden jetzt etwa Testphasen am Menschen parallel vorgenommen, die sonst hintereinander laufen müssen. Hier werden Dinge getan, die sonst nie vorkommen dürfen in der Forschung. Das ist unglaublich verantwortungslos.
Ein konformer Impfstoff würde doch die Rückkehr zur Normalität ermöglichen?
Reiss: Man sollte das Thema Impfstoff differenziert betrachten. Die Sterblichkeit der unter 70-Jährigen ist ja wie gesagt verschwindend klein, eine Grundimmunität ist bereits vorhanden. Es gibt keinen Grund auf eine Impfung der breiten Bevölkerungsschicht zu setzten. Ein Impfstoff für die Risikogruppe kann hingegen durchaus sinnvoll sein. Dieser muss aber wirklich gut geprüft, verträglich und vor allem auch wirksam sein.
Was ist denn zu tun? Einfach bei Krankheitsfällen medizinisch herkömmlich reagieren?
Bhakdi: Natürlich. Unsere Medizin ist extrem gut. Darauf sollten wir setzen. Und wir wissen auch schon viel besser, wie schwere Coronaerkrankungen behandelbar sind.
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Schweiz?
Bhakdi: Meine Eltern haben mir gesagt, die Schweizer seien ein besonders ordentliches, vernünftiges und mutiges Volk, sprichwörtliche Nachfahren von Wilhelm Tell quasi.
Und jetzt?
Bhakdi: Ich bin erschrocken, wie ängstlich und unsicher die Schweiz geworden ist. Sie analysiert die Fakten nicht, wischt kritische Stimmen beiseite und verfolgt stattdessen im Kampf gegen das Coronavirus den gleichen Weg der Undemokratie wie die umliegenden Länder – mit allen schlimmen wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Folgen, der Zerstörung ganzer menschlichen Existenzen. Das ist nicht schweizerisch.
Die Schweiz hat nach dem Teillockdown schneller als andere Länder wieder zu mehr Normalität zurückgefunden. Grossveranstaltungen sind bald wieder erlaubt, man kann Fussballspiele schauen.
Bhakdi: Ihr Einwand beunruhigt mich. Sie vergleichen ihr Land mit den Schlimmsten. Das darf nicht der Massstab sein. Die Schweizer müssen ihren eigenen Weg gehen, wie in der Europapolitik. Sie müssen doch aufstehen und sagen: Wir sind vernünftig, wir machen Schluss mit dem Maskentragen, mit dem Verzicht auf Händeschütteln, mit dem Abstandhalten, wir schicken nicht mehr gesunde Menschen in Quarantäne. Die Kinderpsychologen in Deutschland haben keine freien Termine mehr, weil Kinder unter dem Maskentragen leiden. Keine einzige Studie belegt, dass das allgemeine Maskentragen in der Öffentlichkeit die Verbreitung des Virus eindämmt.
Würden Sie tatsächlich alle Anticoronavirus-Massnahmen aufgeben?
Reiss: Ja. Dass jemand, der hustet, besser zu Hause bleibt, anstatt im Büro seine Kollegen ansteckt, weiss man auch nicht erst seit Ausbruch des Coronavirus. Gegen Selbstverständlichkeiten wie regelmässiges Händewaschen ist nichts einzuwenden. Gegen den flächendeckenden Gebrauch von krankmachendem Desinfektionsmittel hingegen schon.
Bei einem Anlass mit dem Schweizer «Mistercorona» Daniel Koch im Grossmünster ZH hielten Demonstranten ihr Buch in die Höhe. Koch sagte dazu: «Es wäre schön, wenn es so wäre.»
Bhakdi: Ich frage: Was stimmt denn nicht im Buch? Wir stehen zu jedem Wort, das wir geschrieben haben. All die apokalyptischen Prognosen mit den vielen Toten, zum Beispiel ausgesprochen durch das Imperial College in London, haben sich als falsch erwiesen – so, wie wir es schon im März geahnt und im Mai niedergeschrieben haben.
Die Losung in der Schweiz lautet: Testen, testen, testen. Wieso halten Sie das für falsch?
Bhakdi: Weil damit die Zahl der Infektionen gezählt und diese zum Massstab für all die unsinnigen Massnahmen erhoben werden. Es wird ein nicht validierter und nicht zugelassener Labortest verwendet. Dieser stellt auch noch Trümmer des Erregers fest, also irrelevante Virusgen-Fragmente. Das bedeutet: Es wurden zahllose Infektionen registriert, ohne dass die Personen an Covid-19 erkrankt oder gar infektiös waren. Dass diese gesunden Menschen andere mit dem Coronavirus anstecken, ist niemals belegt worden. Eine Behauptung also, und nichts mehr.
Reiss: Die Schweiz sollte eine Vorreiterrolle einnehmen und sofort aufhören, gesunde Menschen zu testen, sie in Quarantäne zu schicken oder ganze Schulen zu schliessen. Ihr könnt nicht stolz sein, wenn die Behörden wegen weniger positiver Fälle wie in Lausanne 2500 Studenten unter Quarantäne stellen.
Wenn Sie Gesundheitsminister in der Schweiz wären. Was würden Sie an diesem Punkt der Pandemie unternehmen?
Reiss: Nicht den Quatsch der anderen Länder mitmachen.
Bhakdi: Alles vergessen und zur Normalität zurückkehren. Alain Berset könnte damit berühmter werden als Wilhelm Tell.