Die Schweiz hat im Zweiten Weltkrieg eine geheime Militärallianz mit Frankreich geschlossen. Teile der Armee wären im Falle eines deutschen Angriffs unter französisches Kommando gestellt worden.
Vor genau 70 Jahren, im Juni 1940, stand Europa und die Schweiz unter Schock: Hitler-Deutschland hat mit Frankreich den stärksten Gegner auf dem Kontinent innert fünf Wochen besiegt. Die Schweiz war umzingelt von faschistischen Staaten. Eine defätistische Stimmung machte sich breit. Am 25. Juni forderte der damalige Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz die Bevölkerung in einer Radioansprache auf, sich den Verhältnissen im neuen Europa anzupassen. Die Rede galt schon damals als «anpässlerisch» und «deutschfreundlich».
Neue Hoffnung hauchte der verunsicherten Bevölkerung General Henri Guisan einen Monat später mit dem Rütlirapport ein. Guisan verkündete die Réduit-Strategie, den Rückzug der Armee in die Alpen, und rief die Truppe zum unbedingten Widerstand auf.
Was ausserhalb des Generalstabs damals niemand wusste: Der Rückzug ins Réduit war eine Notlösung.
Guisan hatte ursprünglich ganz andere Pläne, wie die Schweiz gegen einen Angriff der Nationalsozialisten hätte verteidigt werden können.
Bereits in den späten 30er-Jahren intensivierte der Waadtländer Korpskommandant die Gespräche mit dem französischen Generalstab. Nach seiner Wahl zum General am 30. August 1939 schloss Guisan mit Frankreich sukzessive eine feste Militärallianz, wie neue Dokumente zeigen, die das welsche Wochenmagazin «L'Hebdo» ausgewertet hat.
«Die Schweiz hat sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ganz auf diese Allianz verlassen», sagt der französisch-schweizerische Militärhistoriker Alain-Jacques Tornare gegenüber «L'Hebdo». Und weiter: «Die militärischen Absprachen mit Frankreich waren derart detailliert und umfangreich, dass die Schweizer Geschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs neu geschrieben werden muss.» Tornare hat für das Wochenblatt bisher unbekannte Akten der französischen Armee im Schloss Vincennes bei Paris einsehen können.
Resultat: General Guisan wollte Teile der Schweizer Armee im Falle eines deutschen Angriffs auf die Eidgenossenschaft französischem Kommando unterstellen. «Die Schweiz war somit nicht neutral», sagt der französische Politologe Philippe Garraud.
Konkret sorgte sich Frankreich um die Sicherheit seiner Ostfront.
Die Generäle befürchteten einen deutschen Angriff auf ihr Land südlich der befestigten Maginot-Linie (siehe Grafik) über das Schweizer Mittelland. Frankreich stationierte deshalb Teile seiner Armee direkt an der Schweizer Grenze. Hintergedanke der Franzosen sei es laut Tornare auch gewesen, die Abwehrschlacht gegen die Deutschen auf Schweizer und nicht auf dem eigenen Territorium führen zu müssen.
Die Schweiz wiederum war militärisch zu Beginn des Kriegs derart schlecht gerüstet, dass sie sich noch so gerne auf die französische Hilfe einliess. Das sogenannte «Manöver H» sah den sofortigen Einmarsch französischer Truppen in die Schweiz im Falle eines deutschen Angriffs vor. Guisan liess den Franzosen detaillierte Informationen über den Zustand seiner Armee wie auch über die Qualität der zu benutzenden Strassen und Befestigungsanlagen zukommen.
Sogar die Strassen im Jura seien auf französisches Geheiss vom Schnee befreit worden, damit der Durchgang ständig gewährleistet war. Ausser Militärminister Rudolf Minger war zu diesem Zeitpunkt kein Bundesrat von den schweizerisch-französischen Geheimplänen im Bilde.
Nach der überraschend schnellen französischen Niederlage im Juni 1940 bekam Hitler Wind von dem französisch-schweizerischen Bündnis. Der Führer geriet in Rage, sah aber von einem Angriff auf die Schweiz ab.
Warum hätte er auch ein Land, das wichtige Alpenübergänge schützte und Berlin als Finanzplatz und Nachrichtendrehscheibe diente, angreifen sollen?