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Schweiz
Eine Studie von Bund und Kantonen zeigt: Wären alle Fahrzeuge mit leisen Pneus unterwegs, könnte die Lärmbelastung gleich stark sinken wie bei einer Halbierung des Verkehrs.
Er macht müde, nervös und aggressiv. Er raubt einem den Schlaf. Und er kann nicht nur den Blutdruck, sondern auch das Risiko für Herzinfarkte erhöhen. Unzählige Studien gibt es zu dem Thema, alle kommen zu einem ähnlichen Schluss: Lärm birgt erhebliche Gesundheitsrisiken. Die dominierende Quelle des Krachs ist der Strassenverkehr. Dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) zufolge ist tagsüber jeder fünfte Mensch an seinem Wohnort lästigem Lärm von der Strasse ausgesetzt, nachts ist es noch immer jeder sechste. Betroffene müssen eine Geräuschkulisse ertragen, welche die gesetzlichen Grenzwerte von 60 Dezibel am Tag und 50 Dezibel in der Nacht überschreitet.
Ob Schutzwände oder Temporeduktionen: Die einschlägigen Methoden haben nur bedingt Linderung gebracht. Oft wurden Erfolge von der steigenden Verkehrsflut wieder zunichtegemacht. Als Ende März dieses Jahres die 30-jährige Frist zur Lärmsanierung ablief, waren die meisten Kantone weit von ihren Zielen entfernt.
Dabei ist nicht einmal das Dröhnen der Motoren das grösste Problem. Wer weniger Lärm will, braucht bessere Reifen. Bei konstanter Fahrt übertönen die Abrollgeräusche auf dem Asphalt bereits ab einer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern den Motor. Der gleiche Effekt tritt bei Lastwagen ab 50 auf. «Hier schlummert ein grosses Potenzial», sagt Markus Chastonay vom Amt für Umwelt des Kantons Solothurn. Der Ingenieur ist Vorsitzender des Cercle Bruit, der Vereinigung kantonaler Lärmschutzverantwortlicher. Mit leiseren Reifen lasse sich der Lärm markant reduzieren, erklärt er. «Und das direkt an der Quelle.»
Wie gross das Potenzial leiser Reifen in der Schweiz konkret ist, zeigt nun ein Forschungsprojekt. Das Bafu und die Kantone Aargau, Graubünden, Solothurn und Zürich liessen entsprechende Pneus auf den hierzulande häufigsten Strassenbelägen testen. Ihr Einfluss auf die Geräuschkulisse ist laut der Studie des Ingenieurbüros Grolimund und Partner, die dieser Zeitung vorliegt, von erheblicher Bedeutung: Würden nur noch Fahrzeuge mit leisen Reifen verkehren, könnte dies akustisch die gleiche Wirkung haben wie eine Halbierung des Verkehrs. Leise Reifen sind gemäss gängiger Definition nicht lauter als 71 Dezibel. Bei einem, wie es die Studienautoren nennen, «vollständigen Durchdringungsgrad» liesse sich der Krach eines Pneus im Vergleich zu heute um bis zu 3,5 Dezibel senken. Entscheidend für die Lautstärke sind unter anderem die Breite eines Reifens, dessen Radius und die Gummihärte.
Die Art des Strassenbelags ist entgegen landläufiger Ansichten derweil gar nicht so wichtig, so eine weitere Erkenntnis der Untersuchung. Und das, obwohl ein Asphalt grosse Unterschiede aufweisen kann – etwa in der Oberflächenstruktur, den Hohlräumen oder der Grösse der Gesteinskörner. Die Ingenieure halten fest: Im Gegensatz zu bisherigen Studien sei das «Lärmminderungspotenzial auf allen zehn untersuchten konventionellen Belägen fast identisch». Als besonders viel versprechend erweist sich die Kombination aus lärmarmem Asphalt, auch «Flüsterbelag» genannt, und leisen Reifen. So kann das Abrollgeräusch eines Reifens um bis zu 6 Dezibel gesenkt werden.
Es ist konfus: Der Krach der Strasse ist nicht nur ein grosses Übel, laut Umfragen fühlt sich fast jeder Zweite in der Schweiz von Lärm belästigt. Trotzdem schenke den so wichtigen Autoreifen kaum jemand Beachtung, sagt Fachmann Chastonay. «Nicht einmal, wenn mal wieder der Moment gekommen ist, abgenutzte Pneus zu wechseln.» Sie gelten als Verschleissprodukt, das vor allem möglichst günstig sein soll. Gemäss dem obersten Lärmschützer des Landes bringt es auch kaum etwas, einfach den Empfehlungen seines Garagisten zu vertrauen. «In Sachen Lautstärke wissen die meisten von ihnen kaum Bescheid. Es fehlt an Sensibilisierung.»
Das müsste nicht sein. Denn auf jedem Pneu findet sich ein Aufkleber, wie man ihn vor allem von Kühlschränken kennt. Die sogenannte Reifenetikette ist seit vier Jahren in der Schweiz obligatorisch. Sie informiert über die Nasshaftung, die Energieeffizienz und eben die Lautstärke. Das Rollgeräusch wird mit drei Schallwellen gekennzeichnet, zusätzlich werden Dezibelwerte ausgewiesen. Die Spanne liegt zwischen 67 und 76 Dezibel. Pneus der leisesten Kategorie, «Bis 71 Dezibel», werden mit einer von drei Schallwellen auf der Reifenetikette gekennzeichnet. Beim Bafu heisst es, im Kampf um weniger Strassenlärm sei es zentral, die Abrollgeräusche zu mindern. Es ist ein eher harziges Unterfangen. Der Trend geht nämlich hin zu immer schwereren Fahrzeugen mit breiteren Pneus, und die verursachen mehr Lärm. Das stimmt die Studienautoren pessimistisch. In den kommenden Jahren, befürchten sie, könnte der reifenbedingte Krach noch zunehmen.