Leitartikel
Die Spitäler füllen sich – und die Coronaskeptiker sind am Ende

Im Frühling zogen ihre Demonstrationen noch viel Volk an. Nun zeigt sich: Hätte der Bundesrat auf die Coronazweifler gehört, wären die Folgen verheerend gewesen. Auch eine Schweizer Partei lief in die Irre.

Francesco Benini
Francesco Benini
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Ist besorgt über die Gehässigkeiten der Coronaskeptiker: Bundespräsident Guy Parmelin.

Ist besorgt über die Gehässigkeiten der Coronaskeptiker: Bundespräsident Guy Parmelin.

Keystone

Bundespräsident Guy Parmelin sagt, dass er beunruhigt sei. Seit einigen Wochen stelle er fest, dass in diesem Land «einige Leute nervös werden.»

Parmelin meint in erster Linie die sogenannten Coronaskeptiker. Sie verhalten sich zunehmend aggressiv in den sozialen Medien. Einer ihrer Exponenten übergoss die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli vor einem Impfbus mit Apfelsaft.

Die Gereiztheit der Coronaskeptiker hängt damit zusammen, dass gerade in diesen Tagen offensichtlich wird, wie falsch sie liegen. Ihre Behauptungen stellen sich als Sammelsurium von Verirrungen heraus.

Abwegige Vergleiche mit einer Grippe

Die Zweifler drängten nach der zweiten, schweren Welle vom vergangenen Herbst und Winter darauf, dass der Bundesrat die Beschränkungen umgehend aufhebt. Die selbsternannten Advokaten der Freiheit erklärten, es gebe keine Rechtfertigung mehr dafür, dass der Staat in weitreichender Weise in das Leben der Menschen eingreife. Die staatlichen Behörden schadeten der Wirtschaft und ruinierten Existenzen.

Nun zeigt sich: Wären die Massnahmen zur Einschränkung der Kontakte unter den Menschen früher aufgehoben worden, hätte dies katastrophale Folgen gehabt. Anfang Jahr waren nur sehr wenige Bewohner der Schweiz geimpft, und die hochansteckende Deltavariante des Virus breitete sich aus. Hätte der Bundesrat auf die Skeptiker gehört – die Spitäler wären unter dem Ansturm von Patienten in kurzer Zeit zusammengebrochen.

Natürlich ist es richtig, wenn die Zweckmässigkeit von staatlichen Restriktionen hinterfragt wird. Die Coronaskeptiker taten aber von Anfang an mehr: Sie stellten Covid auf eine Stufe mit einer schweren Grippe. Die Fakten zeigen ein anderes Bild – in den USA erreicht die Zahl der Coronatoten bald 700'000. Vergleiche mit einer Grippe sind völlig abwegig. Die Coronaskeptiker zogen den Nutzen der Gesichtsmasken in Frage und lehnten ihre Anwendung ab, weil sie ein «Herrschaftsinstrument der Regierenden» seien.

SVP stellt sich gegen eigene Gesundheitsdirektoren

Eine Partei liess sich von diesem Unsinn nicht abschrecken. Die SVP machte in den Coronaskeptikern potenzielle neue Wähler aus; ausserdem ist Alain Berset, Drahtzieher der Blocher-Abwahl 2007, ein Feindbild der Volkspartei. Also wurde er als Diktator bezeichnet, und SVP-Nationalrat Roger Köppel rief die Restaurantbetreiber dazu auf, ihre Lokale aufzusperren, Lockdown hin oder her.

Die SVP-Regierungsräte, die in ihren Kantonen Gesundheitsdirektionen führen, machten da nicht mit. Natalie Rickli in Zürich, Jean-Pierre Gallati im Aargau und Pierre Alain Schnegg in Bern schwenkten im Gegenteil auf einen zunehmend harten Kurs ein und gingen dabei manchmal sogar weiter als der Bundesrat. Sie taten das, weil sie aus der Nähe mitverfolgen, wie gefährlich das Coronavirus ist und wie schnell sich die Spitäler füllen, wenn die Politik untätig bleibt. Wer Verantwortung trägt, kann sich nicht auf die Verbreitung dumpfer Polemik beschränken.

Warum gegen eine Pandemie impfen, die es gar nicht gibt?

Nun werden die Coronademonstrationen nur noch von versprengten Haufen besucht, und die Scharfmacher der SVP üben sich plötzlich in schamvoller Stille. Der Platz auf den Intensivstationen wird knapp, die Spitäler melden eine zunehmende Zahl junger Corona-Patienten – und es wächst der Druck auf die Coronaskeptiker: Sie sollen sich impfen lassen. Dass sie sich dagegen wehren, ist folgerichtig. Warum soll man sich gegen eine Pandemie impfen, die man verharmlost oder schlicht negiert?

In der Schweiz ist man sich einig, dass ein Impfzwang – wie er in Italien bald verhängt werden könnte – nicht in Frage kommt. Wenn sich die Lage in den Spitälern aber nicht bald entspannt, wird der Bundesrat die Zertifikatspflicht ausweiten. Das trifft die Coronaskeptiker. Sie müssen für einen Test bezahlen, wenn sie zum Beispiel in die Beiz wollen. Schön ist das nicht. Aber wer eine Ideologie und Verschwörungstheorien über Fakten stellt, bezahlt früher oder später einen Preis dafür.