Der Thurgauer Tierschützer Erwin Kessler muss sich öffentlich geäusserte Vorwürfe, er verharmlose den Holocaust, sei ein «Nazi» und ein «Antisemit», gefallen lassen. Zu diesem Schluss ist das Bezirksgericht Winterthur gekommen.
Das Gericht hatte sich mit einer Strafanzeige Kesslers wegen Verleumdung und übler Nachrede zu befassen gehabt. Kessler war gegen eine junge Frau vorgegangen, die sich auf der Internet-Plattform Facebook negativ über die Präsenz Kesslers und des «Vereins gegen Tierfabriken» (VgT) an einer Veganer-Messe in Winterthur geäussert hatte.
«Mit dem Zulassen von Sekten als auch Menschen mit einer öffentlich klar antisemitischen und ausländerfeindlichen Haltung (...) verschärfen wir das Problem und positionieren uns als nazi- und sektenfreundlich», schrieb sie, und verlinkte dazu einen Online-Artikel, woran Kessler Anstoss nahm.
Am 29. März hatte das Bezirksgericht geurteilt, die Frau habe sich mit diesen Äusserungen über Kessler nicht strafbar gemacht. Offen blieb indes, ob das Gericht der beklagten Gutgläubigkeit zugutehielt, oder ob es den Vorwurf, Kessler sei ein «Nazi» und «Antisemit» im Sinne eines Wahrheitsbeweises für untermauert betrachtet.
Wie aus dem nun vorliegenden Urteil hervorgeht, hält das Gericht den Wahrheitsbeweis für erbracht. Es sei Kessler zwar unbenommen, sich kritisch zum Schächten zu äussern, schreibt das Gericht. Wer sich zur jüdischen Art der Schlachtung aber so äussere wie er, «sich trotz rechtskräftiger Verurteilung wegen mehrfacher Rassendiskriminierung hinter seine Äusserungen stellt und diese verteidigt, (…) dem darf vorgeworfen werden, dass er den Holocaust verharmlose.»
Weiter urteilt das Gericht, Äusserungen Kesslers verblieben oft in einem Grenzbereich zum Rassismus und würden von Durchschnittslesern entsprechend verstanden. Kessler müsse es sich gefallen lassen, dass der Durchschnittsleser ihn entsprechend als «Nazi» oder «Antisemit» bezeichnet.
Das Urteil ist bedeutend, weil Kessler in zahlreichen Fällen Journalisten und Privatpersonen verklagt hat, die sich zur mutmasslichen Nähe seines Gedankengutes zu Rassismus und Antisemitismus geäussert hatten. Zudem hatte sich Kessler auf den Standpunkt gestellt, seine Verurteilung wegen mehrfacher Rassendiskriminierung im Jahre 2000 durch das Bundesgericht dürfe heute nicht mehr erwähnt werden. Genau dies aber sieht das Bezirksgericht Winterthur anders.
Nicht zulässig, so das Gericht weiter, sei es jedoch, von Kessler auf den von ihm präsidierten «Verein gegen Tierfabriken» (VgT) zu schliessen und diesen als «Antisemitische Organisation» zu bezeichnen. Entsprechend hat das Gericht die junge Veganerin in diesem Punkt wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen verurteilt.
Kessler hat bereits bei der Verkündung des Urteils angekündigt, Berufung einzulegen. Die teilweise freigesprochene Veganerin will ihre Verurteilung wegen übler Nachrede zulasten des VgT vom Zürcher Obergericht neu beurteilen lassen.