Bei Familienessen drehen sich die Diskussionen aus Rücksicht auf Nicht-Fussball-Interessierte selten um Fussball. Oder eben doch?
‹A› ist ein glühender Verehrer von Manchester United. ‹B› war sein ganzes Leben lang Radio- und TV-Fussball-Kommentator. An den Familienfesten begegnen sie sich jeweils. Weil sich der Rest der Verwandtschaft nicht allzu viel aus Spitzensport macht, ist es für die beiden natürlich Ehrensache, beim gemeinsamen Essen dieses Thema nicht anzurühren. Und weil ‹A› sein Smartphone auf lautlos gestellt hat, stört es auch niemanden, wenn ihn Pushmeldungen über die Tore beim Spiel Swansea gegen Manchester United auf dem Laufenden halten.
Die Diskussionen drehen sich also um ganz andere Themen wie zum Beispiel die neueste Steuerrechnung für die Grossmutter. So hoch! «Wenn man bedenkt, dass im Vergleich dazu die schwerreiche Fifa wie ein gemeinnütziger Verein besteuert wird», wirft ‹B› ein. «Die Fifa? Ist das eine Tante von dir?» – «Nein, das ist der Weltfussballverband, ist ja auch gar nicht so wichtig ...»
Das Gespräch kommt auf die grösste Gaststätte im Dorf, die vor kurzem abgebrannt ist. Weil das Lokal kurz vor dem Konkurs stand, jagen sich die Gerüchte um eine eventuelle Brandstiftung durch die Eigentümer. «Wenn man eine Videoaufnahme vom Entstehen des Feuers hätte, wäre sofort alles klar. Genau wie beim VAR.» «Beim was?» – «Beim ‹Video Assistant Referee›, aber kann ich bitte noch etwas Salat haben?» – «Cantona wurde ja auch nur so hart bestraft, weil es eine deutliche Aufnahme seiner Karate-Attacke gab», versucht ‹A› ebenfalls noch etwas zur Konversation beizutragen. «Welcher Kanton?» Grossmutter hört nicht mehr so gut. «Das Essen ist ausgezeichnet! Nicht nur das, es ist auch gesund! Alles biologisch!» – «Die Ernährung ist ja so wichtig! Deshalb hat auch die Fussballnationalmannschaft immer einen eigenen Koch ...» – «Was? Aha, ja, die Sauce, da hast du sie ... Habt ihr gestern auch Fernsehen geschaut? Unglaublich! Die bringen ja unterdessen schon die allerneusten Filme und Dokumentationssendungen.» – «Ja, und die Champions League, die Premier League und die Bundesliga alles in einem Paket.» – «Wie, was?» – «Ah ja, ich meine ja nur ...»
Bei all den verschiedenen Themen und Ansichten: Hauptsache, die Familie hält zusammen. «Einer für alle, alle für einen, wenns drauf ankommt! Sagte schon Hennes Weissweiler.» – «Was für ein Hennes?» – «Ach, ein entfernter Verwandter von mir. Der hatte so einen Hang zum Philosophischen.»
Der Bananensplit zum Dessert ist ein Gedicht (und tröstet über ein mickriges 1:1 von Manchester United bei Swansea hinweg). «Da hat doch neulich sogar in der Schweiz bei einem Eckball ein Fan tatsächlich eine Banane in Richtung eines dunkelhäutigen Spielers ...» Ich kann mich gerade noch zurückhalten.
Alles erfunden? Leider nein! Nur leicht übertrieben!