«Italien wird Verspätung aufholen»

In Italien hat der Wind gedreht: Die Lombardei erhöht den Druck zum Ausbau der Neat-Zulaufstrecken, vor allem für den Vier-Meter-Korridor. Der Verkehrsminister will sich persönlich dafür einsetzen. Das ist ganz im Interesse der Schweiz.

Gerhard Lob
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Bereits verlegte Schiene im Südportal des Gotthard-Basistunnels. (Bild: ky/Karl Mathis)

Bereits verlegte Schiene im Südportal des Gotthard-Basistunnels. (Bild: ky/Karl Mathis)

VARESE. In drei Jahren wird der neue Gotthard-Basistunnel in Betrieb gehen. Er soll einen wichtigen Beitrag zur Verlagerungspolitik der Schweiz leisten. Doch nur wenn ausländische Firmen ihre Waren vermehrt via Bahn transportieren, kann die Neue Alpentransversale (Neat) ihren Zweck erfüllen. Da rund 80 Prozent des Bahngüterverkehrs via Gotthard auf der Luino-Linie entlang des Lago Maggiore zu den Terminals in Busto Arsizio und Gallarate laufen, ist es besonders wichtig, dass auf diesem Korridor die modernen Sattelauflieger mit vier Metern Eckhöhe transportiert und Zuglängen von 700 Metern gefahren werden können.

230 Millionen Franken bewilligt

In Bern hat man dies erkannt und ist daher bereit, den Ausbau der Luino-Linie auf ein Leichtprofil von vier Metern zu finanzieren, auch wenn die Strecke im Ausland liegt. 230 Millionen Franken hat der Ständerat für Projekte südlich von Chiasso sowie auf der Luino-Linie bewilligt. Der Entscheid des Nationalrats steht noch aus. Lange herrschten Zweifel am Willen der Italiener. Doch glaubt man den Aussagen an einer Tagung der Handelskammer von Varese, hat sich nun auch die Einsicht durchgesetzt, dass der Vier-Meter-Korridor auf der Luino-Linie verwirklicht werden muss. Zumindest äusserte sich der Verkehrsminister der Region Lombardei, Maurizio Del Tenno, sehr entschieden: «Wir wollen diesen Korridor unbedingt.»

Ein erneutes Desaster auf italienischer Seite wie beim Bau der grenzüberschreitenden Bahn Mendrisio-Stabio-Varese dürfe und werde es nicht geben. Auch der Vertreter der Bahninfrastrukturbetreiberin RFI, Giorgio Botti, gab sich verhalten zuversichtlich. Die Planung auf der Strecke Luino sei in Gang. Allerdings: Die letzte Entscheidung liegt immer in Rom.

Verkehrsexperte Lanfranco Senn, Professor an der Mailänder Universität Bocconi, präsentierte eine Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Vier-Meter-Korridors auf Italien. Die Kostenersparnis sei enorm und in der Logistikbranche der Lombardei liessen sich Hunderte von neuen Arbeitsplätzen schaffen, ganz abgesehen von den Vorteilen für die Umwelt. Für den Vier-Meter-Korridor seien auf italienischer Seite, auch dank Schweizer Vorfinanzierung, 88 Prozent der Kosten gedeckt. «Italien hinkt wie so häufig hinterher, hat aber die Kraft aufzuholen – bei der Infrastruktur ist es wie beim Fussball», sagte Senn.

Lange nur auf Strasse gesetzt

Lange hat Italien im Güterverkehr nur auf die Strasse gesetzt. Doch nun scheint der Wind ein wenig gedreht zu haben. «Wenn sich selbst ein italienisches Strassentransportunternehmen wie Arcese als Ziel setzt, 50 Prozent auf die Bahn zu verladen, ist das ein ermutigendes Zeichen», meinte alt Nationalrat und Verkehrsexperte Remigio Ratti.

Der Meinungsumschwung in Italien spiegelt sich auch im Urteil Andrea Pellicinis, Bürgermeister von Luino. Er sei früher gegen den Vier-Meter-Korridor gewesen, weil er seiner Gemeinde nicht noch mehr Güterzüge habe zumuten wollen: «Doch jetzt ist mir klar geworden, dass diese Linie nur Zukunft hat, wenn man investiert.» Als Ausgleich für die Unterstützung des Projekts verlangt Luino aber Gegenleistungen – beispielsweise den Bau von Unterführungen statt Bahnübergängen mit Schranken sowie die Beibehaltung der modernen Tilo-Nahverkehrszüge. Die diplomatischen Auslandvertretungen der Schweiz in Italien und die Schweizer Handelskammer in Italien puschen das Thema des Vier-Meter-Korridors seit einiger Zeit. Am Montag steht schon der nächste Bahnkongress in Luino an.