Johann Schneider-Ammann: Immer Unternehmer, nie Politiker

Johann Schneider-Ammann will nach dem Rücktritt vielleicht wieder unternehmerisch tätig sein. Es wäre eine Rückkehr in jene Gefilde, in denen er sich wohl fühlt. Mit dem Berner Politbetrieb ist der Berner in allen Jahren nie richtig warm geworden.

Tobias Bär, Henry Habegger
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Der abtretende Bundesrat Johann Schneider-Ammann, rund ein Jahr nach seinem Amtsantritt. (Bild: Martin Ruetschi/Keystone (Bern, 29. September 2011))

Der abtretende Bundesrat Johann Schneider-Ammann, rund ein Jahr nach seinem Amtsantritt. (Bild: Martin Ruetschi/Keystone (Bern, 29. September 2011))

Johann Schneider-Ammann hielt mehrere Sekunden inne. Sagte dann, es handle sich um eine schwierige Frage. Holte noch einmal Luft. Der FDP-Wirtschaftsminister, der am Dienstag seine Demission per Ende Jahre verkündete, sollte Auskunft geben, ob das Amt ihn verändert habe. «Man wird in der Politik etwas suspicious», sagte er, der gerne Anglizismen in seine Ausführungen einbaut, schliesslich.

Misstrauisch ist er also geworden. Mit den Indiskretionen rund um seinen Rücktritt sah sich der Berner in diesem Misstrauen bestätigt. Schneider-Ammann machte am Dienstag keinen Hehl daraus, dass er sich nie mit den Winkelzügen in Bundesbern anfreunden konnte. Mündliche Abmachungen werden eingehalten, so war er sich das als Unternehmer gewohnt.

Sich von diesem Leben als Unternehmer und vom Verwaltungsratspräsidium der Langenthaler Ammann Group zu verabschieden, das fiel dem Elektroingenieur schwer. Er rang mit sich, ehe er sich nach dem Rücktritt von Hans-Rudolf Merz im Sommer 2010 zur Kandidatur für den Bundesrat entschloss.

Gewählt mit Unterstützung von links

Dass Schneider-Ammann fast auf den Tag genau vor acht Jahren von der Bundesversammlung gewählt wurde, verdankte er auch der Unterstützung von links. Dies unter anderem deshalb, weil er als gestandener Patron mehr Verständnis für die Sozialpartnerschaft aufzubringen schien als die damals etwas kalt und forsch wirkende Gegenkandidatin Karin Keller-Sutter – die jetzt als seine aussichtsreichste Nachfolgerin gilt.

JSA wurde Wirtschaftsminister, und das nahm er wörtlich. Gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, für die Unternehmen, das war für ihn das Mass aller Dinge. Ob eine Schraube für ein Fahrrad oder einen Panzer hergestellt wurde, schien Schneider-Ammann nicht so wichtig zu sein. Es ging um Arbeitsplätze. Jobs, Jobs, Jobs – darauf hat er sein Handeln ausgerichtet. Das zeigte sich in den letzten Monaten, in denen er darauf drängte, Kriegsmaterialexporte auch in Bürgerkriegsländer zu ermöglichen.

Am Mittwoch muss er diesen Plan im Nationalrat verteidigen, es wird einer seiner letzten Auftritte auf dieser Bühne. Er werde aufzeigen, warum es sich nur um eine «ganz bescheidene Korrektur» handle. Eine Korrektur im Sinne des Industriestandorts, der dem ehemaligen Präsidenten des Maschinen- und Metallindustrieverbandes Swissmem so sehr am Herzen liegt.

Ein Freihandelsabkommen nach dem anderen

Es ist kein Zufall, dass Schneider-Ammann den Freihandel zuoberst platzierte, als er gestern seine Bilanz präsentierte. Er schloss in seiner Amtszeit ein Freihandelsabkommen nach dem anderen ab, 2013 unter anderem eines mit China. Mit Indonesien sei ein Abschluss in Griffweite, die Verhandlungen mit den südamerikanischen Mercosur-Ländern seien gut aufgegleist, so Schneider-Ammann. Ausserdem liefen Sondierungsgespräche mit den USA.

Ein anderes Thema, das dem 66-Jährigen am Herzen liegt, ist die Digitalisierung. «Das digitale Zeitalter ist eingeläutet, man muss sich dieser Herausforderung annehmen», sagte er am Dienstag. Schneider-Ammann hat kein Verständnis für jene, die vor den Gefahren und Verwerfungen der vierten industriellen Revolution warnen. Er selber sieht vor allem Chancen. Schneider-Ammann wehrte sich denn auch gegen eine Regulierung von digitalen Anbietern wie Airbnb oder Uber. Auch bei der Umsetzung der 2011 lancierten Fachkräfte-Initiative blieb er in den Augen vieler zu passiv.

Es hiess zuletzt vermehrt, JSA sei nur noch Aussenminister seines Departements. Während er um die Welt reise, werde seine Innenpolitik längst von eher neoliberalen Leuten wie seinem Generalsekretär Stefan Brupbacher und vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco geprägt. Schneider-Ammann leite sein Departement nicht mehr selbst.

Zerwürfnisse mit Bauern und Gewerkschaften

Falsch ist dies mit Sicherheit nicht, wie sich etwa in der Agrarpolitik zeigte, wo er sich mit Bauernpräsident Markus Ritter überwarf. Zum Eklat kam es auch, als Schneider-Ammann im vergangenen Sommer bei den Sozialpartnern den Spielraum beim Lohnschutz ausloten sollte. Dies mit Blick auf die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU, der die flankierenden Massnahmen ein Dorn im Auge sind.

Bauern und Gewerkschaften verweigerten das Gespräch. Das mag nicht den Schweizer Gepflogenheiten entsprechen. Der FDP-Bundesrat verfolgte aber in beiden Fällen Linien, die in der Sackgasse enden mussten.

JSA ist, das hat ihn immer ausgezeichnet, ein ehrlicher Mensch, als Politiker wohl etwas zu ehrlich. «Hannes» sei kein Blender, sagte FDP-Präsidentin Petra Gössi am Dienstag. Er hat sich nicht verbogen, er konnte sich oft nicht einmal anpassen. Er verfügte nicht über die Flexibilität, die Wahrheit auch einmal zu dehnen. Das muss man ihm lassen und das ehrt ihn. Er wurde nie ein guter, nie ein richtiger Politiker. Das bestätigte er gestern gleich selber: «Ich war nicht Politiker, bevor ich kam, und ich bin nicht Politiker, wenn ich jetzt gehe.»

«Rire, c’est bon pour la santé» bleibt unvergessen

Die Medien, wir Medien, machten uns gerne über ihn lustig. Teilweise in beschämendem und ungerechtem Ausmass, es gab ganze Satiresendungen, die davon lebten. Aber immerhin versuchte hier einer, seine Arbeit redlich und gut zu machen. Sein Auftritt am Tag der Kranken («Rire, c’est bon pour la santé») ist unvergessen, weil er so unvergleichlich unfreiwillig komisch war. Sein Ziel, Leute zum Lachen zu bringen, hat er gerade deshalb erreicht.

So wie er trotz seiner politischen Unbeholfenheit durchaus viele seiner Ziele erreicht hat. Es gelang nicht alles, die Hochseeflotte etwa geriet aus dem Ruder. Vor allem gegen Schluss lief einiges schief, der Berner schien zunehmend überfordert und gleichzeitig von seinen Leuten getrieben. Schneider-Ammann wurde stur, er war von einer Haltung fast nicht mehr abzubringen, wie im Nachgang von Kommissionssitzungen zu vernehmen war. Er schien gar nicht mehr richtig zuzuhören. JSA war müde geworden.

«Ich habe mein Leben lang gedient»

Überhaupt, die Müdigkeit: Zuletzt mehrten sich die Zweifel an der körperlichen Verfassung des 66-Jährigen. Schneider-Ammann sei in Sitzungen nicht bei der Sache, nicke gelegentlich ein. «Ab und zu bin ich müde, das gebe ich gerne zu. Aber ich weiss wenigstens, weshalb», sagte er gestern scherzhaft. Dabei drückte das Arbeitsethos durch, dem Schneider-Ammann nachlebt: «Ich habe mein Leben lang gedient.»

Man möge es ihm deshalb nachsehen, dass er sich nun noch vor Ende der Legislatur «befreie». Überhaupt sei er ursprünglich mit dem Plan angetreten, bereits 2015 wieder zu gehen. Bald hat der Patron wieder mehr Zeit für seine Frau. Er wolle ein «aktiver Grossvater» werden «und vielleicht die eine oder andere unternehmerische Tätigkeit wieder aufnehmen».

Schneider-Ammann wird nicht als grosses oder visionäres Mitglied der Landesregierung in die Geschichte eingehen. Aber er war ein durchaus erfolgreicher Bundesrat, der viel gearbeitet und viele «Jobs, Jobs, Jobs» geschaffen hat. Und, vor allem: Er war und ist eine grundehrliche Haut. So einer tut der Politik allemal gut.