Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sagt, für Kühe verheisse die Hornkuh-Initiative nichts Gutes. Und er warnt, die Schweiz sei auf dem besten Weg zu einem Bruch mit ihren wichtigsten Handelspartnern.
Herr Bundesrat, in Ihrem letzten Abstimmungskampf müssen Sie Fragen über Kuhhörner beantworten. Finden Sie es seltsam, dass Sie sich mit einem solchen Thema herumschlagen müssen?
Nein. Wir haben ein offenes demokratisches System. Jeder kann mit einem Anliegen an die Öffentlichkeit und die Politik gelangen. Wenn man das so geschickt macht wie Armin Capaul, der Kopf hinter der Hornkuh-Initiative, kann man auch das Stimmvolk einbeziehen. Für mich ist das ein ganz normaler Prozess – in diesem Fall aber mit einem zugegebenermassen etwas speziellen Anliegen.
Es sollen weniger Kühe und Ziegen ihre Hörner verlieren, indem Landwirte für behornte Tiere finanziell unterstützt werden. Wieso ist der Bundesrat dagegen?
Es ist eine Frage der finanziellen Mittel: Nimmt die Hornkuh-Initiative ein Anliegen auf, das so entscheidend ist, dass andere landwirtschaftliche Interessen deswegen zurückgestellt werden sollten? Das Geld für die Umsetzung müsste andernorts im Landwirtschaftsbudget eingespart werden, was schwierig wäre.
Kosten würden die Hornbeiträge zwischen zehn und dreissig Millionen Franken pro Jahr. Das ist nicht viel angesichts des Landwirtschaftsbudgets von 3,7 Milliarden Franken.
Eine Kompensation dieses Betrags wäre trotzdem nicht ohne Probleme möglich, weil der Bauernverband bereits klar gesagt hat, dass er keine Einbussen an anderen Orten akzeptieren werde. Wir müssen uns schon überlegen, ob wir für die Förderung der Hörner der Kühe eine weitere Subvention für die Landwirtschaft in der Bundesverfassung, unserem wichtigsten politischen Dokument, festschreiben wollen.
Gemäss einer Studie leidet ein grosser Teil der Kälber auch Monate nach der Enthornung an Schmerzen. Ist Ihnen dieses Leid egal?
Die besagte Studie stellt drei Monate nach dem Eingriff eine erhöhte Empfindlichkeit für Berührungen fest. Dieses Phänomen kennt man auch aus der Humanmedizin und kann nicht mit Langzeitschmerzen gleichgesetzt werden. Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung als Sohn eines Tierarztes. Die Landwirte entfernen die Hörner mit der allergrössten Sorgfalt. Sie tun es, weil sie das Tierwohl erhöhen wollen.
Wie meinen Sie das?
Die Landwirte wollen den Kühen viel Freilauf geben. Das entspricht dem Auftrag der Politik. Doch damit die Tiere dabei den Landwirt und einander nicht verletzen, müssen die Hörner entfernt werden. Ich bin mit meinem Vater oft in Ställen gestanden, in denen Kühe mit ihren Hörnern um sich schlugen. Es geht um eine Güterabwägung: Wollen wir Kühe ohne Hörner, die sich dafür viel bewegen können oder solche mit Hörnern, die meistens angebunden sind?
Was gefällt Ihnen persönlich besser: eine Kuh mit Horn oder eine ohne?
Das Simmentaler Fleckvieh ist ein schönes Tier mit einem schönen Horn. Ein Zuchttier jedoch, bei dem der Fleischertrag eine wesentliche Rolle spielt, ist auch ohne Horn ein schönes Tier. Aber einem Bauern mit Freude an den Hörnern steht nichts im Weg – ausser dass er keine Subvention für die Hörner erhalten soll. Es liegt in der unternehmerischen Freiheit der Landwirte, zu entscheiden, ob sie Tiere mit Hörnern haben wollen. Wir wollen keinen Subventionstatbestand schaffen, der nicht unbedingt nötig ist. Zumal ein solcher Detailaspekt, ein solcher Subventionsartikel, nicht in die Bundesverfassung gehört.
Gemäss ersten Umfragen liebäugelt eine Mehrheit mit einem Ja zur Initiative. Haben Sie Angst davor, dass Sie zum Ende Ihrer Bundesratskarriere vom Volk nochmals auf die Hörner genommen werden?
Nein. Es ist auch meine Aufgabe, der Bevölkerung zu erklären, wieso der Bundesrat gegen die Initiative ist und wieso ein Hörnerbeitrag nicht unbedingt das Tierwohl verbessert. Und ich hoffe, dass ich am Ende eine Mehrheit überzeugen kann: Ein Hörnerbeitrag gehört gemäss unseren Grundsätzen nicht in die Bundesverfassung.
Um Verfassungsgrundsätze geht es auch bei der Selbstbestimmungs-Initiative. Warum lehnen Sie die ab?
Die Selbstbestimmungs-Initiative ist eine Gefahr. Sie verursacht Unsicherheit darüber, ob wir unsere internationalen Verträge noch einhalten. Das bedeutet, dass die Wirtschaft diese nicht als sichere Rahmenbedingungen wahrnimmt. Dann wird nicht investiert, dann gibt es kein Wachstum, keine Jobs. Wir würden zurückfallen: Das wäre die Gefahr, wenn Unsicherheit aufkäme. Solche Unsicherheit können wir uns schlicht nicht leisten. Die Selbstbestimmungs-Initiative muss deutlich abgelehnt werden.
Auch vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative wurde ähnlich gewarnt – doch die negativen Folgen blieben aus.
Mit Verlaub: Die Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative 2014 ist noch heute nicht verdaut. Ich denke zum Beispiel an die Verhandlungen, die wir mit der EU zu führen versuchen. Da wirkt der zeitliche Ausschluss der Schweizer Forschung aus dem EU-Forschungsprogramm oder die für die Wirtschaft schmerzhafte Verzögerung beim Aufdatieren der Abkommen über technische Normen nach. Darum wünsche ich mir, dass die Selbstbestimmungs-Initiative nun erkannt wird als etwas, was zu Schwierigkeiten führen kann.
Die Verhandlungen mit der EU stocken auch, weil Sie sich beim Lohnschutz mit Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner überwarfen. Haben Sie sich wieder versöhnt?
Ich bedaure es, dass wir immer noch nicht miteinander am Tisch sitzen. Es ist an ihm zu entscheiden, ob er das will. 30 Jahre lang habe ich geholfen, die Sozialpartnerschaft zu pflegen und hochzuhalten. Ich stelle mir ungern vor, dass ich Ende Jahr mit einer offenen Pendenz mit den Gewerkschaften aus dem Amt gehe. Die Sozialpartner konnten sich letztlich immer wieder einigen: Auch deswegen stehen wir als Land so gut da. Ich kann Herrn Rechsteiner aber nicht am Schopf nehmen und an den Tisch zwingen.
Falls die Gewerkschaften nicht mitmachen beim Rahmenabkommen: Findet der Bundesrat auch ohne sie eine Mehrheit dafür?
Theoretisch ist eine Mehrheit ohne Gewerkschaften möglich. Das Fundament unserer Gesellschaft wäre deswegen aber instabiler. Mit der EU könnte bei den flankierenden Massnahmen wohl eine Lösung gefunden werden. Den bestehenden Lohnschutz stellen wir materiell nicht in Frage. Vergessen wir bei all den technischen Fragen zudem das grosse Ganze nicht: Wir haben ein grosses Interesse an einem geregelten Verhältnis mit der EU. Zwei Drittel unserer Exporte gehen dorthin, drei Viertel kommen von dort. Jetzt aber sind wir auf dem besten Weg, da einen Bruch herbeizuführen. Das wollen auch die Gewerkschaften nicht, und das will der Bundesrat nicht.
Befürchten Sie einen Bruch, weil das Rahmenabkommen in der Öffentlichkeit zerredet wird?
Ich habe mehrere Jahre Geschäftsverhandlungen um viel Geld geführt. Die Entscheidungen fielen immer in der letzten Nacht, wenn alle ihre Karten auf den Tisch legen und schauen müssen, wo man einander noch entgegenkommen kann. Anders geht das nicht. Ich glaube immer noch daran, dass man die Verhandlungen einmal abschliessen muss, damit wir wieder normal arbeiten können. Wir sind ein wichtiger Handelspartner der EU-Länder. Die überlegen sich zweimal, ob sie es sich mit uns verscherzen wollen. Wenn die Vorbereitungsverhandlungen jetzt etwas zäher verlaufen, sind wir deswegen noch nicht am Ende der Fahnenstange.
Themawechsel: Schweizer Sturmgewehre sind im Jemen aufgetaucht. Wie gross ist der Reputationsschaden für die Schweiz?
Damit ist nicht zu scherzen. Aber im konkreten Fall brauchen wir schon zuerst Beweise, dass es sich tatsächlich um Waffen aus einer Schweizer Lieferung handelt, die vom Käuferstaat weitergegeben wurden, und dass diese tatsächlich im Jemen eingesetzt wurden. Das von den Medien gezeigte Bild ist kein klarer Beleg. Wir unternehmen alles, damit wir solche Waffen nicht in Länder liefern, wo Konflikte bestehen. Schon seit 2009 wird keine Lieferung von Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien mehr bewilligt, nur noch Ersatzteile und Munition für bereits gelieferte Systeme. Wir tun bereits heute alles dafür, dass Waffen von Bestimmungsländern nicht weiterverkauft werden – die entsprechenden Bestimmungen und Kontrollen wurden schon vor Jahren verschärft. Selbstverständlich gibt es nie eine absolute Garantie, dass es nicht doch passiert. Ich bedaure die Situation und die Polemik.
Auch bei Geschäften des Flugzeugbauers Pilatus mit Saudi-Arabien ist unklar, ob der Bund genau genug hingeschaut hat.
Auch diese Sachverhalte klären wir derzeit ab. Mit Pilatus-Präsident Oscar Schwenk habe ich vor kurzem persönlich gesprochen. Alle Beteiligten wollen, dass rasch klar wird, was Sache ist, damit aus allfälligen Fehlern und Unklarheiten gelernt werden kann.
Saudi-Arabien wird für den Tod des Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich gemacht. Soll die Schweiz den Handel einschränken?
Die Schweiz hat schon mehrfach kundgetan, dass die Tat uns schockiert und wir sie scharf verurteilen . Der Fall Khashoggi muss aufgeklärt werden. Grundsätzlich trägt Handel zur Öffnung eines Landes bei, und offene Länder sind tendenziell rechtstaatlicher und demokratischer. Den konkreten Fall Saudi-Arabien wird der Bundesrat demnächst erneut diskutieren. Dieser Diskussion kann ich nicht vorgreifen. Hinsichtlich von Sanktionen orientieren wir uns wie immer am UNO-Sicherheitsrat.