GESUNDHEITSPOLITIK: Physiotherapeuten fordern bessere Entschädigung

Seit Jahren ringen Physiotherapeuten und Krankenversicherer um eine neue Tarifstruktur. Nun hat der Bundesrat eingegriffen. Doch das bedeutet nur eine kurze Atempause im Tarifstreit.

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Als der Bundesrat vergangene Woche den neuen Tarmed zur Abrechnung ärztlicher Leistungen absegnete, folgte das Wehklagen der Ärzte auf dem Fuss. Lautstark beklagten sie sich über Einnahmeausfälle von gegen einer halben Milliarde Franken. Dass sich die Physiotherapeuten gleichzeitig bemerkbar machten, ging dabei unter. Diese waren beim Ringen um den neuen Tarif etwas weniger erfolglos als die Ärzte. Noch im Frühling hatten sie dem Bundesrat nichts Weniger als «Missbrauch der Tarifstruktur zur Kostenkontrolle» vorgeworfen. Mit einer beispiellosen politischen Mobilisierung gelang es ihnen aber, den Bundesrat zur einen oder anderen Konzession zu bewegen. Die neue bundesrätliche Verordnung bildet beispielsweise die in der Praxis erbrachten Physiotherapie-Leistungen deutlich besser ab als bisher. Mit dem Effekt, dass die administrativen Abläufe vereinfacht und Streitfälle zwischen Physiotherapeuten und Krankenkassen reduziert werden.

Trotzdem ist der Branchenverband Physioswiss, der rund 9000 selbstständige und angestellte Therapeuten vertritt, nur mässig zufrieden mit der neuen Tarifstruktur. Der interimistische Generalsekretär Mario Evangelista bedauert insbesondere, dass der Austausch zwischen Physiotherapeuten und Ärzten etwa nach wie vor nicht verrechenbar ist: «So wird suggeriert, wir sollten diese Leistungen gratis oder gar nicht erbringen. Sieht so eine in die Zukunft gerichtete Versorgung aus?», fragt Evangelista rhetorisch. «Wenn sich ein Arzt, eine Ergotherapeutin und ein Physiotherapeut zusammensetzen, um einen komplexen Fall zu beraten, können Erstere den Aufwand abrechnen, Letzterer aber nicht», sagt Evangelista. Hier sieht Physioswiss den grössten Nachbesserungsbedarf.

Neuer Anlauf geplant

Eine neue Tarifstruktur wird ohnehin wieder auf die Agenda kommen. Zunächst sind zwar die Anpassungen umzusetzen. «Danach werden wir wohl mit allen Partnern an den Tisch sitzen und einen neuen Anlauf nehmen», sagt Evangelista. «Wir wollen die Tarifstruktur und die Taxpunktwerte an die Realität anpassen, um die Verhandlungen zu versachlichen und die Chancen auf ein Verhandlungsergebnis deutlich zu erhöhen», betont der Physioswiss-Generalsekretär. Wohlwissend, dass mit den Krankenkassenverbänden Curafutura und Santésuisse harte Gegner am Verhandlungstisch sitzen werden. Zudem steigen in der Physiotherapie die Kosten rasant: Die ärztlichen Anordnungen nahmen allein zwischen 2011 und 2015 um ein Drittel zu. Allerdings trägt die Physiotherapie zu den Gesamtkosten der Krankenversicherung bloss rund 1,5 Prozent bei.

Die Ärzte probieren derweil, den Bundesrat mit einem offenen Brief unter Druck zu setzen – mit bisher bescheidenem Erfolg. Auf der Webseite von SOS Santé, einem Zusammenschluss von Spezialärzte-Vereinigungen und einigen kantonalen Ärztegesellschaften, erklärten sich gerade mal 29 Personen zur Unterzeichnung bereit. Weiter fordert SOS Santé, dass die Kantone in Zukunft ambulante Behandlungen mitfinanzieren. Dazu startete die Organisation gestern eine Aktion. Ärzte sollen ihre Patienten auffordern, eine vorgedruckte Postkarte mit entsprechenden Forderungen an ihren kantonalen Gesundheitsdirektor zu schicken.

Balz Bruder/Fabian Fellmann