Gadhafi zündelt nun in Nigeria

Libyens Revolutionsführer will das westafrikanische Land zwischen Moslems und Christen aufteilen. Der Brandstiftung aus Tripolis hätte es nicht bedurft: Nigerias Machteliten sind auch ohne Gadhafi dabei, das Land zu destabilisieren.

Walter Brehm
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Der libysche Oberst in der Napoleon-Pose: Nach der Schweiz will Muammar Gadhafi jetzt den westafrikanischen Staat Nigeria aufteilen. (Bild: ap/Evan Schneider)

Der libysche Oberst in der Napoleon-Pose: Nach der Schweiz will Muammar Gadhafi jetzt den westafrikanischen Staat Nigeria aufteilen. (Bild: ap/Evan Schneider)

Ruft der vormalige selbsternannte «König von Afrika» zur Aufteilung der Schweiz auf, kann getrost über Gadhafis Geisteszustand gewitzelt werden. Schlägt der libysche Potentat selbiges für den Vielvölkerstaat Nigeria vor, ist dies zwar ebenfalls Irrsinn – aber ein sehr gefährlicher.

Muammar Gadhafi nennt es einen Lösungsvorschlag für die tiefe Krise Nigerias, um die Konflikt-Gemengelage aus sozialen, ethnischen und religiösen Brüchen in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas zu entschärfen.

Er will es entlang der religiösen Grenze zwischen Moslems im Norden und Christen im Süden aufteilen. Der Mann handelt mit Bedacht – allerdings nicht im Interesse des Friedens.

Sich überlappende Konflikte

Nigeria taumelt seit Monaten durch einen Strudel aus Gewalt, religiös verbrämten und wirtschaftlich fundierten Machtkämpfen.

Was sich in den internationalen Medien leicht als Religionskrieg zwischen Moslems und Christen darstellen lässt, ist sehr viel komplexer.

Überfallen christliche Banden moslemische Dörfer und islamistische Milizen christliche Orte, bleiben regelmässig Hunderte grausam verstümmelte Tote zurück. Doch Religion ist nur eine Wurzel der atavistischen Gewalt.

Vor allem brechen sich kulturelle und wirtschaftliche Widersprüche Bahn, wenn nomadisierende Viehzüchter auf sesshafte Dorf- und Landbewohner losgehen. Wie oft in Afrika, sind es unklare Besitzverhältnisse an Boden und die umstrittene Verfügungsgewalt über lebenswichtige Ressourcen wie Wasser, welche die Menschen in Furor versetzen.

Es geht um Macht und viel Geld

Noch deutlicher wirtschaftlich bedingt ist der ebenfalls gewaltsam ausgetragene Konflikt im christlichen Süden, wo bewaffnete Rebellen seit Jahren um eine gerechtere Verteilung der nigerianischen Öleinnahmen kämpfen. Hier ringen vor allem ethnische Gruppen wie die Yoruba und Ibo um einen Anteil am Reichtum, der aus ihrem Boden geschöpft wird. Hier wird der Kern aller Konflikte in Nigeria deutlich. Es geht um die Fleischtöpfe und die politische Macht, die den Zugang zu diesen Töpfen sichert.

Denn politische Macht ist in Nigeria immer mit üppigem Wohlstand verbunden. Wer es in die Nähe der jeweils Regierenden schafft, der hat für sich und seinen ganzen Clan wirtschaftlich ausgesorgt.

Jeder Monat an der Kasse zählt

Funktioniert hat dies bisher auch dank einer zentralstaatlichen Machtbalance, nach der sich jeweils ein Christ und ein Moslem im Amt des Staatschefs ablösen. De iure ist derzeit der Moslem Umaru Yar'Adua Präsident.

Sein monatelanger Spitalaufenthalt in Saudi-Arabien hat Nigeria in ein Machtvakuum gestürzt, das im vergangenen Monat durch die Amtseinsetzung des christlichen Vizepräsidenten Goodluck Jonathan de facto beendet wurde. Er hätte erst im kommenden Präsident werden sollen. Wo es aber für die Mächtigen um viel Geld geht, ist jeder Monat an der Staatskasse entscheidend.

In Nigerias Hauptstadt Abuja haben Yar'Aduas Anhänger vorerst noch mit juristischen Mitteln einen Kampf gegen den «illegitim» amtierenden Präsidenten Jonathan begonnen. Da aber in Nigeria neben vielen anderen aufgeschobenen Reformen auch jene von Polizei und Armee hängig ist, rückt die Frage, wem die Loyalität der bewaffneten Sicherheitsapparate gilt, ins Zentrum.

Wen stützt die Armee?

Als nach der Amtseinsetzung Jonathans der kranke Yar'Adua bei Nacht und Nebel nach Nigeria zurückgekehrt war, brachten ihn etwa 300 Armeeangehörige heimlich und mit unbekanntem Ziel vom Flugplatz weg. Jonathan und auch hohe Armeeoffiziere erfuhren von der Aktion erst am Tag darauf. Die Armee ist zwar ebenfalls aus Christen und Moslems rekrutiert, aber in den Mannschaftsrängen und im Offizierskorps stellen Moslems die Mehrheit.

In dieser heiklen Lage des Landes ist jede Intervention einer ausländischen Macht per se ein Risiko.

Eine Amnestie als Drohung?

Von den Anhängern Jonathans wird deshalb auch die libysche Ankündigung, 200 islamistische Extremisten aus den Gefängnissen zu entlassen, mit Sorge registriert. Unter den Amnestierten sind drei Anführer und 34 Mitglieder der «Islamischen Kämpfenden Gruppe». Sie sollen sich laut Angaben aus Tripolis zwar von Kontakten zum Terrornetzwerk Al Qaida losgesagt haben.

In Nigeria erinnert man sich aber gut an die Unterstützungsangebote für nigerianische Islamisten aus den Reihen der somalischen und maghrebinischen Al-Qaida-Filialen.

Vor dem Hintergrund des Gadhafi-Vorschlags, Nigeria aufzuteilen, bekommt die Amnestierung islamistischer Kämpfer für viele Nigerianer den Geruch einer Drohung aus Libyen.