Streit ums elektronische Patientendossier: Das Parlament diskutiert über ein Obligatorium für Ärzte

Damit sich das elektronische Patientendossier etablieren kann, müssen möglichst viele Leistungserbringer mitmachen. Doch für Praxisärzte ist die Teilnahme bisher freiwillig. Das könnte sich bald ändern – zumindest für einen Teil von ihnen.

Michel Burtscher
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Für einen Teil der Ärzte könnte die Patientenakte auf Papier bald Geschichte sein. (Bild: Fotolia)

Für einen Teil der Ärzte könnte die Patientenakte auf Papier bald Geschichte sein. (Bild: Fotolia)

Dieses Jahr ist ein entscheidendes für das elektronische Patientendossier (EPD). In den Spitälern, Rehakliniken und Psychiatrien laufen die Vorbereitungen für dessen Einführung. Ab April 2020 müssen alle ihren Patienten ein EPD anbieten. «In allen Regionen sind Aktivitäten im Gang», sagte Adrian Schmid, Leiter von E-Health Suisse, im Interview mit unserer Zeitung (Ausgabe von gestern). Ab 2022 gilt das Obligatorium auch für Pflegeheime und Geburtshäuser.

Freiwillig ist die Sache für die Patienten sowie die Praxisärzte – jedenfalls im Moment noch. Im Parlament gibt es Bestrebungen, das EPD auch für Ärzte obligatorisch zu erklären. Zumindest für solche, die neu zugelassen werden. Bei der Ärztevereinigung FMH ist man nicht erfreut über die Pläne. Yvonne Gilli, FMH-Vorstandsmitglied und ehemalige Nationalrätin, wählt deutliche Worte, wenn sie darauf angesprochen wird: «Die Politik ritzt mit diesem Vorgehen an ihrer Glaubwürdigkeit», sagt sie. Noch bevor das EPD eingeführt und getestet worden sei, wolle die Politik das Obligatorium ausweiten. «Das ist absurd», so Gilli.

Die gesetzlichen Grundlagen für das elektronische Patientendossier wurden 2015 geschaffen. Streitpunkt im Parlament war damals, wer alles verpflichtet werden soll, ein EPD anzubieten. Der Nationalrat wollte auch für die Ärzte ein Obligatorium, der Ständerat war dagegen. Die FMH sprach sich gegen das Vorhaben aus und drohte gar mit dem Referendum, falls das EPD nicht weiterhin freiwillig bleibt – und setzte sich am Schluss durch, der entsprechende Passus wurde aus dem Gesetz gestrichen.

Die Wirtschaft übt Druck aus

Nun aber ist er wieder aufgetaucht, im fast gleichen Wortlaut. Und zwar im Gesetz über die Zulassungssteuerung von Ärzten. Dieses will der Bundesrat revidieren und den Kantonen mehr Kompetenzen geben. Die Gesundheitskommission des Nationalrates hat diese Möglichkeit genutzt, um das EPD-Obligatorium wieder aufzunehmen. Künftig müssten Ärzte, die zugelassen werden wollen, ein elektronisches Patientendossier anbieten. In der letzten Session folgte der Nationalrat seiner Kommission. SVP-Gesundheitspolitiker Sebastian Frehner befürwortet die Pläne: «Das EPD nützt nur etwas, wenn die Hausärzte dabei sind, bei ihnen läuft alles zusammen.» Er ist sich sicher: Je mehr Leistungserbringer mitmachen, desto weniger Fehlanalysen und Fehlbehandlungen gibt es. Hinter den Kulissen übt auch die Wirtschaft Druck aus. Laut einem Bericht des «Tages-Anzeigers» von gestern haben Vertreter der Pharma- und Gesundheitslobby im letzten Oktober an einer Sitzung mit Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann darauf gedrängt, das elektronische Patientendossier zu forcieren und den Zugang zu Gesundheitsdaten für die Wirtschaft zu erleichtern.

Für Yvonne Gilli ist klar: «Entscheidend für den Erfolg des EPD wird nicht sein, ob es ein Obligatorium gibt, sondern ob es ein funktionierendes Arbeitsinstrument ist, das im Alltag nützlich ist.» Die FMH lehne eine Kopplung des elektronischen Patientendossiers an die Zulassung klar ab, sagt die Ärztin. Gelassener sieht das Pius Bürki, E-Health-Verantwortlicher beim Verband der Haus- und Kinderärzte. Er sagt: «Mit der Regelung, die nun im Parlament diskutiert wird, könnten wir leben.» Noch ist diese nicht im Trockenen, die kleine Kammer des Parlaments muss auch noch ihren Segen geben. Die Gesundheitskommission des Ständerates wird die Beratungen über das Geschäft voraussichtlich im zweiten Quartal dieses Jahres aufnehmen. So oder so bleibt es den Patienten selbst überlassen, ob sie ihre Krankenakten in einem EPD bündeln wollen. Die Nachfrage scheint aber vorhanden zu sein. Das legt zumindest eine kürzlich veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag der Swisscom nahe. Demnach befürworten zwei Drittel der Befragten, dass Ärzte verpflichtet werden sollen, ihren Patienten persönliche Gesundheitsinfor- mationen in einem EPD digital zugänglich zu machen.