Wer kranke Familienmitglieder pflegt oder betreut, soll dabei in Zukunft vom Staat besser unterstützt werden: Der Bund will mit Kantonen und Gemeinden die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern.
BERN. Gesundheitsbefragungen haben ergeben, dass in der Schweiz rund 700 000 Personen aller Altersstufen auf Pflege mit oder ohne Spitex angewiesen sind. Rund 40 Prozent der 50- bis 64-Jährigen leiden an einer oder mehreren chronischen Krankheiten, bei den über 80-Jährigen betrifft dies bereits rund 70 Prozent. Der Bund geht davon aus, dass die Anzahl pflegebedürftiger älterer Menschen bis ins Jahr 2030 um schätzungsweise 46 Prozent zunimmt.
Bereits bis im Jahr 2020 braucht es laut den Prognosen des Gesundheitsobservatoriums Obsan zusätzlich 18 000 Fachkräfte in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen sowie SpitexDiensten; das ist ein Mehrbedarf von 13 Prozent. Doch der Mehrbedarf an Betreuung und Pflege könne kaum mit professioneller und institutioneller Pflege allein bewältigt werden, teilte der Bundesrat gestern mit. Heute übernehmen rund 330 000 Familienangehörige in der Schweiz Pflege- und Betreuungsaufgaben. Diese umfassen neben der Pflege in Ergänzung zu den Spitex-Leistungen psychische und soziale Unterstützung, Hilfe im Haushalt, Transporte sowie administrative und organisatorische Tätigkeiten. Der Bundesrat sieht diese Aufgabe aufgrund des Wandels der Familienstrukturen zunehmend erschwert; als Grund nennt er kleinere Familien, die zunehmende Erwerbsquote bei den Frauen sowie die Notwendigkeit zweier Erwerbseinkommen für Familien. Um Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege besser zu vereinbaren, brauche es deshalb zusätzliche Anstrengungen. Denn Betreuung und Pflege schwer erkrankter oder sterbender Angehöriger sei für jene, die sie leisteten, häufig eine grosse Belastung.
Der Bundesrat will dem mit einem Aktionsplan begegnen, den er gestern verabschiedet hat. Ziel sei die Schaffung guter Rahmenbedingungen. «Wenn Erwerbstätige vorübergehend ihr Arbeitspensum reduzieren oder eine Auszeit nehmen wollen, sollte dies ermöglicht werden, ohne dass sie dadurch ihre wirtschaftliche Grundlage oder ihre berufliche Laufbahn gefährden», schreibt er. Unter anderem will er in den nächsten zwei Jahren neue rechtliche Grundlagen erarbeiten. Zum einen geht es um bessere Rechtssicherheit bei kurzzeitigen Abwesenheiten vom Arbeitsplatz. So wird heute die Pflege von Kindern kantonal unterschiedlich gehandhabt, und bei kranken Erwachsenen ohne Unterstützungspflicht fehlen allgemeine Regelungen. Zum anderen soll für längere pflegebedingte Abwesenheiten die Einführung eines Betreuungsurlaubs mit oder ohne Lohnfortzahlung geprüft werden. Denkbar sind laut Bundesrat auch Arbeitszeitreduktionen oder Betreuungsgutschriften.
Die St. Galler CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz, die den Stein mit zwei parlamentarischen Initiativen ins Rollen gebracht hatte, spricht von einem richtigen Ansatz, um den pflegenden Angehörigen den Rücken zu stärken. Ein Aktionsplan sei allerdings erst ein erster Schritt und relativ unverbindlich; es brauche gesetzliche Massnahmen, und da werde der Aufschrei der Wirtschaft wohl kaum ausbleiben. Doch sie warnt: Werde nichts unternommen, stiegen die Pflegekosten in den nächsten zehn Jahren um rund 17 Milliarden Franken an.