Auf den ersten Blick liegen die Dinge klar. Die FDP-Initiative will das Beschwerderecht der Umweltverbände ausschalten, sofern ein Bauprojekt vom Volk oder Parlament genehmigt worden ist. Bei näherer Betrachtung zeigen sich allerdings die Unschärfen des Volksbegehrens.
Auf den ersten Blick liegen die Dinge klar. Die FDP-Initiative will das Beschwerderecht der Umweltverbände ausschalten, sofern ein Bauprojekt vom Volk oder Parlament genehmigt worden ist. Bei näherer Betrachtung zeigen sich allerdings die Unschärfen des Volksbegehrens. Grund ist der knappe Wortlaut der Initiative. «Es ist schleierhaft, was die Initiative will», sagt Beat Jans, Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Natura.
Offen lässt der Initiativtext namentlich die Frage, ob das Verbandsbeschwerderecht nur bei Beschlüssen ausgehebelt wird, die Volk oder Parlament selber treffen, oder ob es für ein Ausschalten der Verbände bereits genügt, dass Volk oder Parlament in einem bestimmten Bereich einen Vorentscheid gefällt haben.
Zur Veranschaulichung: Versteht man die Initiative im letztgenannten Sinn, kann etwa der VCS nicht mehr gegen ein Stadionprojekt vorgehen, wenn sich das Stimmvolk vorgängig für dessen Finanzierung ausgesprochen hat. Oder Greenpeace darf eine Baubewilligung für einen Supermarkt nicht mehr anfechten, sofern das Gemeindeparlament zuvor die notwendige Änderung des Zonenplans abgesegnet hat.
Geht man dagegen davon aus, die Initiative wolle nur demokratische Entscheide über konkrete Projekte selber vor einer Anfechtung durch die Umweltverbände schützen, kann der VCS im erwähnten Beispiel gegen die Baubewilligung für das Stadion vorgehen – das Stimmvolk hat sich ja bloss über die Frage der Finanzierung ausgesprochen.
Je nach Interpretation des Initiativtextes könnten gemäss Jans bei einer Annahme bis zu 90 Prozent der heute von den Umweltverbänden anfechtbaren Projekte vom Verbandsbeschwerderecht ausgenommen werden. Dies zeigt: Bei der Auslegung des Initiativtextes geht es um mehr als blosse Wortklauberei.
Doch was gilt nun? Sowohl der Bund wie auch das Initiativkomitee haben je ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Tragweite des Volksbegehrens festlegen soll. Die angefragten Experten kommen dabei zu gegenteiligen Schlussfolgerungen. Zuhanden des Bundesamtes für Umwelt hat Helen Keller, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Zürich, festgehalten, die Absicht der Initianten könne nicht abschliessend beurteilt werden. Der Initiativtext lasse beide Auslegungsergebnisse zu, wobei die zwei Varianten juristisch denselben Stellenwert hätten.
Yvo Hangartner, emeritierter Professor an der Universität St. Gallen, kommt dagegen in seinem Gutachten zu einem anderen, eindeutigen Schluss. Gemäss Hangartner bezieht sich die Initiative nicht nur auf Volks- und Parlamentsbeschlüsse, sondern schiebt der Verbandsbeschwerde auch dort einen Riegel, wo die Exekutive unmittelbar einen demokratischen Entscheid vollzieht. Im Klartext: Heisst das Volk den Kredit für ein neues Stadion gut, soll der VCS nachher nicht gegen die Baubewilligung Beschwerde führen können. Diese Deutung deckt sich mit jener des Initiativkomitees, wie Ständerat Rolf Schweiger auf Anfrage bestätigt.
Mit Schweigers Segen zu Hangartners Interpretation ist das letzte Wort in der Sache aber nicht gesprochen. Denn den Initianten kommt kein Deutungsmonopol zu. Wird die Initiative bei ihrer Annahme nicht durch ein Gesetz konkretisiert, ist die Auslegung Sache der Gerichte. Der Bundesrat geht in seiner Botschaft allerdings davon aus, dass aufgrund der offenen Punkte ein Ausführungsgesetz des Parlaments notwendig wäre.
Die Frage, worüber das Volk eigentlich abstimmt, ist mit dem Hinweis auf den Entscheidungsspielraum von Gerichten und Parlament aber nicht beantwortet. Staatsrechtlerin Keller zweifelt deshalb, dass die Stimmberechtigten ihren tatsächlichen Willen zum Ausdruck bringen können, wie dies die Verfassung vorschreibt. FDP-Ständerat Schweiger warnt indes davor, die Dinge zu dramatisieren. Drastische Worte wählt dagegen Beat Jans von Pro Natura. Für ihn geht es am 30. November darum, ob das Verbandsbeschwerderecht «faktisch abgeschafft werden soll».