Fristverlängerung
Ehemalige Verdingkinder sollen weiterhin einen Solidaritätsbeitrag beantragen können

25 000 Franken für erlittenes Unrecht: Die Forderung nach einer Fristverlängerung für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen dürfte im Parlament eine Mehrheit finden - trotz des Widerstandes des Bundesrates.

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Ein Bild eines Kindes, das zur Adoption freigegeben wurde, aus dem Stadtarchiv Bern. Archive helfen ehemaligen Verdingkindern bei der Suche nach Unterlagen.

Ein Bild eines Kindes, das zur Adoption freigegeben wurde, aus dem Stadtarchiv Bern. Archive helfen ehemaligen Verdingkindern bei der Suche nach Unterlagen.

Peter Klaunzer, Keystone (14. Februar 2017)

Das Gesetz vom Herbst 2016 ist klar formuliert: Wer in der Schweiz vor 1981 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen wurde, hat Anrecht auf einen Solidaritätsbeitrag von 25 000 Franken. Die Betroffenen mussten bis Ende März 2018 ein Gesuch einreichen. «Auf Gesuche, die nach Ablauf dieser Frist eingereicht werden, wird nicht eingetreten.»

Dieselben Parlamentarier, welche die Frist vor drei Jahren gesetzt haben, wollen diese nun wieder aufheben. Noch in ihrer alten Zusammensetzung hat die Rechtskommission des Ständerats Ende Oktober einen Vorstoss von Raphaël Comte (FDP) für eine Verlängerung der Frist angenommen – einstimmig.

Am Donnerstag beschäftigt sich die Rechtskommission des Nationalrats mit der Forderung, ebenfalls noch mit den bisherigen Mitgliedern. Und auch dort geniesst die Verlängerung breite Zustimmung. Kommissionsmitglied Matthias Aebischer (SP) sagt:

Mit dem heutigen Wissen war es ein Fehler, eine Frist zu setzen.

Viele Betroffenen würden jahrelang mit sich und der eigenen Geschichte ringen, eine Deadline sei deshalb unsinnig. Die Zahl der Gesuche sei schwierig abzuschätzen gewesen. Weil weniger Gesuche eingegangen seien als erwartet, könne man die Frist nun «mit gutem Gewissen aufheben». Der Bundesrat hatte mit bis zu 15 000 Betroffenen gerechnet, innerhalb der Frist gingen dann nur rund 9000 Gesuche ein.

Verzicht wegen drohender Kürzung der Ergänzungsleistungen

Beat Flach (GLP) sagt, er habe die Frist bis jetzt als ausreichend lang und gut bekannt beurteilt. Offenbar gebe es aber Personen, die wegen des allfälligen Verlusts ihrer Ergänzungsleistungen (EL) auf ein Gesuch verzichtet hätten.

Gemäss dem geltenden Gesetz kann es zu EL-Kürzungen kommen, wenn das Vermögen der Betroffenen durch den Solidaritätsbeitrag die Freigrenze von 37 500 Franken übersteigt. Das Parlament ist derzeit daran, dies zu ändern. Deshalb mache eine neue Frist Sinn, sagt Flach.

Auch Bernhard Guhl (BDP) ist der Meinung, dass aufgrund des Unrechts, das den Betroffenen angetan worden sei, eine Lösung gefunden werden müsse. Eine Fristerstreckung dürfe aber nicht zu einer verzögerten Auszahlung für jene führen, die ihr Gesuch rechtzeitig eingereicht hätten.

Heute tritt das Bundesamt für Justiz nur in «absoluten Ausnahmefällen» auf verspätete Gesuche ein. Bis jetzt sind rund 240 davon eingegangen. Die rund 9000 regulären Gesuche will der Bund bis Ende Jahr abgearbeitet haben.

Der abtretende CSP-Nationalrat Karl Vogler sagt: «Ich war bisher skeptisch gegenüber einer Fristerstreckung.» Inzwischen habe er seine Meinung aber geändert, «nicht zuletzt aufgrund des Schlussberichts der Unabhängigen Expertenkommission». Darin wird unter anderem die «Aufhebung jeglicher Frist» für die Einforderung des Solidaritätsbeitrags gefordert.

Der Bundesrat ist gegen die Fristverlängerung

Anfang 2018 hatte die Kommission Gründe aufgelistet, die einem Gesuch im Weg stehen können. Dazu zähle das Misstrauen gegenüber den Behörden oder die Angst vor den Reaktionen aus dem Umfeld.

Robert Blaser, der Präsident des Vereins Fremdplatziert, sagt denn auch: «Eine Fristverlängerung löst diese Probleme nicht.» Die Betroffenen, die sich nach langem Abwägen doch noch zu einem Gesuch durchringen könnten, gingen ohne Verlängerung jedoch leer aus.

Der Argumentation des Bundesrates, der gegen die Fristverlängerung ist, kann Blaser nichts abgewinnen. Gemäss der Landesregierung müsste der Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken unter Umständen erhöht werden. Dafür müssten aber rund 3000 zusätzliche Gesuche eingehen. Für Blaser ein unrealistisches Szenario: «Es werden sich höchstens noch ein paar Hundert melden.»