Nach dem mutmasslichen Mord an einem Journalisten mahnt der höchste Schweizer die Saudis. Links-Grün fordert Massnahmen. Bundesrat Ueli Maurer überlegt sich, eine geplante Reise nach Riad abzusagen.
Es ist keine Frage, auf die die Bundesratskandidatinnen und -kandidaten gewartet haben. Einer, der immerhin antwortet, ist Peter Hegglin, Zuger CVP-Ständerat. «Ich würde zuerst vom entsprechenden Staat eine detaillierte Aufklärung des Falles verlangen», gibt er auf die Frage an, wie der Bund nun mit den Saudis umgehen solle. «Dazu wäre allenfalls auch der Botschafter einzubestellen. Sollte es sich tatsächlich um einen vom Staat angeordneten Mord handeln, wäre er zu verurteilen.»
Was Politiker zu derart vorsichtigen Verlautbarungen veranlasst: Alles deutet darauf hin, dass der Regimekritiker und Journalist Jamal Khashoggi in Istanbul von saudischen Schergen auf brutalste Weise ermordet wurde. Dabei war das Land der Ölscheichs, angeführt vom vermeintlichen Reform-Prinzen Mohammed bin Salman, zuletzt ein geschätztes Reiseziel für Bundesräte und Wirtschaftskapitäne. Infrastrukturministerin Doris Leuthard (CVP) etwa war dort, Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) wiederholt. Noch im Februar 2018 war es Finanzminister Ueli Maurer (SVP), der mit Bankiers im Schlepptau nach Riad reiste.
Und jetzt der brutale Mord von Istanbul, angeordnet mutmasslich vom umschwärmten Kronprinzen selbst. Während Bundesratsmitglieder und manche Parlamentarier beharrlich schweigen zum Ungeheuerlichen, richtet der höchste Schweizer, Nationalratspräsident Dominique de Buman (CVP), auf Anfrage mahnende Worte an die saudischen Herrscher: «Noch liegen keine absoluten Beweise für das vor, was in Istanbul passiert ist. Es ist jetzt wichtig, dass die ganze Wahrheit auf den Tisch kommt und dass nichts versteckt wird. Das ist nötig, damit das Vertrauen in die Behörden Saudi-Arabiens und unser gutes Verhältnis mit ihnen aufrechterhalten werden kann.»
In Bern ist Hektik ausgebrochen. Finanzminister Ueli Maurer, nächstes Jahr Bundespräsident, hat ein Problem. Recherchen ergeben, dass er 2019 eine Reise nach Riad auf dem Programm hatte. Erneut sollten Finanzplatzvertreter dabei sein. Nun ist Maurer gemäss zuverlässigen Quellen drauf und dran, diese Präsidialreise abzusagen. Das wäre im Sinn von Carlo Sommaruga, Genfer SP-Nationalrat und Aussenpolitiker. Er fordert den Verzicht auf Politiker-Reisen nach Saudi-Arabien. «Bis auf weiteres sind auch keine saudischen Delegationen in der Schweiz zu empfangen.» Sommaruga fordert sogar Einreisesperren. «Die Schweiz muss sämtliche Personen, die für diesen barbarischen Akt Verantwortung tragen, in der Kommandokette oder der Ausführung, zu unerwünschten Personen erklären und mit einem Einreiseverbot belegen.» Das heisst, dass auch Kronprinz und König von einer Einreisesperre betroffen sein könnten. Das wäre nicht erfreulich für die Königsfamilie, besitzt sie bei Genf doch beispielsweise einen riesigen Luxuspalast, der von zahlreichen Villen umlagert ist.
Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, fordert den sofortigen Stopp von Kriegsmateriallieferungen an Saudi-Arabien und andere Länder, die am Jemen-Konflikt beteiligt sind. Noch immer gehen Schweizer Rüstungsgüter im Millionenwert, angeblich reine Defensivwaffen, an Saudi-Arabien.
Rytz erwägt auch, das geplante Doppelbesteuerungsabkommen mit Saudi-Arabien zu bekämpfen, das im November in die Wirtschaftskommission kommt. «Und wir werden in der Wintersession einen Bericht über die Reputations- und Geldwäscherisiken verlangen, die der neutralen und humanitären Schweiz durch saudische Vermögen erwachsen.» Rund 200 Milliarden Franken, so Schätzungen, bunkern Saudis in der Schweiz.
Beat Flach, Aargauer Nationalrat der Grünliberalen, sagt: «Wir müssen uns fragen: Können wir mit gutem Gewissen weiterhin mit solchen Staaten geschäften?» Denn: «Hier zeigt sich die äusserst hässliche Fratze von undemokratischen Staaten. Das Verschwindenlassen von Menschen durch staatliche Akteure muss durch die internationale Staatengemeinschaft untersucht werden.» Peter Föhn, Schwyzer SVP-Ständerat, sagt: «Wenn es stimmt, dass die Saudis den Regimekritiker umgebracht haben, dann ist das grauenhaft. Hinterhältige Morde im Staatsauftrag sind aufs Schärfste zu verurteilen.» Aber er warnt: «Wenn man anfängt, Länder wie Saudi-Arabien zu boykottieren, dann treiben wir bald nicht mehr viel Handel: Länder wie China sind ebenfalls hochproblematisch. Die Schweiz muss sich neutral verhalten. Direkte Kritik üben und eingreifen muss die UNO. Dafür sind wir auch in der UNO.»
Das Aussenministerium von Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) bot gestern den höchsten saudischen Botschaftsvertreter zum zweiten Mal in dieser Woche auf. Nachdem nach dem ersten Mal eine Antwort zum Schicksal von Khashoggi ausblieb, drückte das EDA gestern erneut seine «tiefe Besorgnis» aus und verlangte «so rasch wie möglich Antwort auf die offenen Fragen».