Die Angst vor dem Chlorhuhn

TTIP – die Abkürzung ist derzeit in aller Munde. Was verbirgt sich dahinter? Und was hat das Abkommen zwischen der EU und den USA mit der Schweiz zu tun?

Tobias Bär
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Jan Atteslander Leiter Aussenwirtschaft bei Economiesuisse (Bild: pd)

Jan Atteslander Leiter Aussenwirtschaft bei Economiesuisse (Bild: pd)

Wofür steht TTIP?

Für die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Oder: Für die grösste Freihandelszone der Welt. Die beiden Verhandlungspartner, die USA und die EU, erbringen zusammen fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. Vom Freihandelsabkommen betroffen wären rund 800 Millionen Konsumenten. Neben dem Abbau von Zöllen streben Brüssel und Washington die Beseitigung von Handelshemmnissen an, die sich aus unterschiedlichen Normen und Gesetzen ergeben. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, welche Qualitätsanforderungen ein Produkt erfüllen muss oder welche Angaben auf die Verpackung gehören.

Wie laufen die Verhandlungen?

Die erste Verhandlungsrunde fand im Juli 2013 statt. Zum 13. und bislang letzten Mal kamen die Unterhändler Ende April in New York zusammen. Ursprünglich sollte bis Ende des vergangenen Jahres ein Rahmenabkommen stehen. Das neue Ziel lautet: Abschluss bis Ende 2016. Die politische Verantwortliche auf der Seite der EU, Handelskommissarin Cecilia Malmström, stellte vergangene Woche aber klar: «Inhalt kommt vor Geschwindigkeit.» Über diesen Inhalt der Verhandlungen dringt wenig nach aussen. Dass selbst Parlamentarier in den betroffenen Ländern nur schwer an Informationen kommen, zeigt sich am Beispiel von Deutschland. Zwar hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als Reaktion auf Klagen wegen der fehlenden Transparenz ein «TTIP-Lesezimmer» eingerichtet. Dort dürfen Bundestagsabgeordnete Dokumente einsehen. Dies aber nur unter Aufsicht, Handys bleiben draussen. Und das Gelesene müssen die Parlamentarier für sich behalten.

Was verspricht man sich vom Abkommen?

Je freier der Warenhandel, desto höher der Wohlstand, so die Meinung der Befürworter. TTIP fördere das Wirtschaftswachstum, schaffe Arbeitsplätze und sorge für höhere Löhne – auch für niedrigqualifizierte Arbeiter, wie EU-Kommissarin Malmström vergangene Woche in einem Blog-Eintrag betonte. Mit dem Freihandelsabkommen wollen sich die Vereinigten Staaten und die EU gegen die aufstrebenden Schwellenländer wappnen. Das Abkommen diene dazu, «den europäischen Einfluss in der Welt zu erhalten», hält die EU-Kommission fest.

Welches sind die Argumente der Gegner?

Der Widerstand wird von der länderübergreifenden Bürgerinitiative «Stop TTIP» orchestriert. Die Kritik ist vielfältig und beginnt bei der Geheimhaltung. Unter Malmström sind die Verhandlungen allerdings transparenter geworden. Die inhaltlichen Bedenken betreffen unter anderem die Angleichung der Standards. Europa könnte sich den USA anpassen, wo Lebensmittel nicht denselben Qualitätsansprüchen genügen müssten und der Konsumentenschutz weniger hoch gewichtet werde, so die Befürchtung. Als Beispiel dient der Umgang mit Hühnerfleisch. In den USA wird dieses üblicherweise im Chlorbad desinfiziert, was in der EU verboten ist. Die Gegner warnen zudem vor hormonbehandeltem Fleisch. Die EU-Kommission hält in einem Faktenblatt dagegen: «Die geltenden Vorschriften für die Lebensmittelsicherheit werden von TTIP nicht berührt.»

Hohe Wellen werfen zudem die Schiedsgerichtsverfahren, mit denen Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Regierungen beigelegt werden. Grossunternehmen hätten die Möglichkeit, gegen jedes missliebige Gesetz zu klagen, meinen die Kritiker. Die EU hält ihrerseits fest, Schiedsgerichte schützten Unternehmen vor Diskriminierung. Während die USA für private Schiedsgerichte plädieren, fordert die EU als Reaktion auf den öffentlichen Druck inzwischen, dass die Richter öffentlich ernannt werden müssen.

Wie wirkt sich TTIP auf die Schweiz aus?

Das Nicht-EU-Mitglied Schweiz ist bei den Verhandlungen nicht dabei. Vom Abkommen betroffen ist sie aber durchaus: Die EU und die USA sind ihre zwei wichtigsten Handelspartner. Mit den Vereinigten Staaten unterhält die Schweiz kein Freihandelsabkommen. Dort drohen deshalb auf jeden Fall Nachteile. In der EU sind Schweizer Anbieter dank den zahlreichen Marktzugangsabkommen gegenüber der amerikanischen Konkurrenz derzeit noch im Vorteil. Dieser Vorsprung schmilzt je nach Ausgang der Verhandlungen mehr oder weniger stark.

Welche Optionen hat die Schweiz?

Allenfalls kann sie an das fertig verhandelte TTIP andocken. Die EU und die USA wissen aber noch nicht, ob sie das Abkommen für Drittstaaten öffnen wollen. Eine mögliche Alternative für die Schweiz wäre ein Freihandelsabkommen mit den USA. Der Bundesrat macht seine Strategie vom Ausgang der Verhandlungen abhängig. Die Landesregierung werde die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit anstreben, heisst es beim Staatssekretariat für Wirtschaft. Berücksichtigt würden auch «soziale und umweltbezogene Aspekte».

Christian Engeli Kampagnenleiter bei Greenpeace Schweiz (Bild: pd)

Christian Engeli Kampagnenleiter bei Greenpeace Schweiz (Bild: pd)

Demonstration gegen TTIP vor dem EU–Ratsgebäude in Brüssel. (Bild: ky/Olivier Hoslet)

Demonstration gegen TTIP vor dem EU–Ratsgebäude in Brüssel. (Bild: ky/Olivier Hoslet)