Der Volksseele die Flügel gestutzt

Die Swissair wurde in der Schweiz in allen Landesteilen geliebt wie kaum ein anderes helvetisches Symbol. Diesen verklärten Blick legte in der letzten Epoche des Luftfahrt-Konzerns auch das Management an den Tag – die Swissair flog blind und hochnäsig ihrem Untergang entgegen und riss eine Wunde in die Volksseele, die auch zehn Jahre später noch nicht vernarbt ist.

Philipp Landmark
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Schweizer Stolz auf der ganzen Welt: Eine DC-4 der Swissair fliegt über New York City, aufgenommen im Mai 1947. (Bild: ky/Photopress-Archiv)

Schweizer Stolz auf der ganzen Welt: Eine DC-4 der Swissair fliegt über New York City, aufgenommen im Mai 1947. (Bild: ky/Photopress-Archiv)

Unvermittelt rieb sich die ganze Schweiz die Augen. Das kann doch einfach nicht sein, was die drastischen Fernseh-Bilder suggerieren: Die Swissair wurde nach einem 70 Jahre dauernden Höhenflug vom Himmel geholt. Das schillerndste Symbol helvetischen Nationalstolzes wurde brutal gedemütigt, der Volksseele gleichsam auf grausame Weise die Flügel gestutzt.

Unvermittelt? Die Zeichen waren deutlich, die Swissair war wirtschaftlich schon lange angezählt. Dennoch schien es völlig ausgeschlossen, dass ihr tatsächlich einmal der Knock-out drohen könnte. Selbst in einem Jahr nicht, das an dramatischen Zäsuren so überladen war wie 2001: Die Anschläge vom 11. September in den Vereinigten Staaten raubten der Swissair letztlich wohl die Luft zum Atmen; der Amoklauf im Zuger Kantonsparlament erinnerte die Schweiz auf schmerzhafte Weise daran, dass Unbill nicht nur andere heimsucht.

Wenige Jahre zuvor, 1997, wurden beim Terroranschlag im ägyptischen Luxor hauptsächlich Schweizer Touristen ermordet. Bei aller Bestürzung im Lande kam nicht das Gefühl auf, dass hier ein bewusster Anschlag auf die Schweiz stattgefunden hatte, sondern dass Schweizerinnen und Schweizer stellvertretend für den Westen eher zufällig Opfer wurden.

Souverän durch die Krise

Auch als ein Jahr später Swissair-Flug 111 bei Halifax abstürzte, war die Schweiz tief betroffen; der Unfall konnte dem Stolz des Volkes aber nichts anhaben. Neuere, offenbar eher wackelige Hypothesen, dass es sich doch um einen gezielten Anschlag gehandelt haben könnte, finden in der Schweiz kaum Nachhall. Hingegen erinnert man sich gerade zum zehnten Jahrestag des Groundings auch noch daran, wie souverän und tapfer der nationale Aviatik-Konzern – trotz oder gerade wegen der offensichtlich echten Betroffenheit über den Verlust von über 200 Menschenleben – die Krise bewältigte. Die Haltung, mit der die Swissair ihre bis dato schwärzeste Stunde durchschritt, bestärkte das Bild von einer Airline, die anders war als die anderen: Grundschweizerisch solide nämlich, und edel dank gediegenem Understatement.

Dass dieses Bild nicht in allen Facetten der Wahrheit entsprach, liessen Schweizerinnen und Schweizer nicht gelten, und so glaubte es eben auch die ganze Welt. Tatsächlich war die Leistung der Airline herausragend, Business-Kunden, die einen hohen Standard in dezenter Ausprägung schätzen, hielten der Swissair lange die Treue, auch als Luxus anderswo weitaus barocker zelebriert wurde. Die heimische Massenkundschaft fühlte sich in der Swissair-Economie-Class stets gut aufgehoben und sah geflissentlich darüber hinweg, dass die Airline wie alle anderen auch scharf kalkulieren musste und sich Plastik-Kaffeelöffeli nicht mehr als Souvenir eignen.

Auch der manchmal recht spröde Charme der Flugbegleiterinnen, die auch mit dem Service-Gedanken zu haushalten wussten, aber am Schluss doch ein Feldschlössli servierten, war den Schweizern näher als devot umherwuselnde asiatische Schönheiten anderer Carrier.

Verklärten Blickes

Im nachhinein scheint es, dass die Crème der Schweizer Wirtschaftselite einen ähnlich verklärten Blick auf die Swissair hatte. Tragischerweise führte dies in der Konsequenz zu ganz unschweizerischem Geschäftsgebaren: Massloser Selbstüberschätzung und mangelndem Risikobewusstsein. Ein Muster, das sich sieben verflixte Jahre später bei der UBS wiederholen sollte: Jener Bank, der beim Swissair-Grounding gerne ein Schwarzer Peter zugeschoben wird. Jener Bank auch, die im Gegensatz zur Airline mit massivem Einsatz von Staatsmitteln ihrerseits vor einem Grounding bewahrt werden musste.

Bescheidenheit war nie das Ding von Swissair-Managern. Die durchaus attraktive Fusion von KLM, SAS, Austrian Airlines und Swissair scheiterte letztlich daran, dass die Schweizer als gewichtigster Partner alle Kontrolle forderten und sich aufführten wie ein Elefant im Porzellan-Laden.

Unabhängig – um jeden Preis

Dass die Swissair später nicht der Star Alliance beitreten wollte, weil diese Lufthansa-dominiert war, mutet heute nur wie eine bittere Ironie der Geschichte an. Doch die Swissair wollte partout selber gross sein und ein Leader einer Allianz. Management und zumindest die von der Boulevard-Presse repräsentierte Volksseele tickten da gleich: Unabhängigkeit um jeden Preis.

Da diese Unabhängigkeit aber nicht klein und bescheiden verteidigt werden sollte, führte dies geradewegs zur berüchtigten Hunter-Strategie: Die Schweizer scharten kleinere und oft auch marode Airlines um sich, um diese Leader-Rolle einzunehmen – und hatten sich so ein Sammelsurium an Finanzlöchern angelacht, die zum sicheren Ausbluten der Swissair führten. Das zu erkennen weigerte sich aber das Swissair-Management standhaft, und als dann doch Massnahmen eingeleitet wurden, waren sie bis zuletzt zaghaft und hochnäsig.

Manchmal ist Wirtschaft alles andere als komplex: Um darzustellen, was es heisst, alle Warnungen zu negieren, kann man heute ein einziges Foto zeigen. Stolze Swissair-Heckflossen, die nicht den Zuckerhut von Rio de Janeiro oder die New Yorker Freiheitsstatue als Kulisse haben, sondern dicht gedrängt neben den anderen Maschinen der Swissair-Flotte stehen. Der einst als «Bank der Lüfte» gepriesenen Airline war im Übermut sogar das Kleingeld für das Kerosen ausgegangen.