Debatte um wenige Dollar

US-Präsident Barak Obama will den Mindestlohn auf zehn Dollar pro Stunde anheben. Das wäre immer noch wesentlich weniger, als es die Gewerkschaften in der Schweiz fordern.

Thomas Spang
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Klassisches amerikanisches Restaurant: 3,8 Millionen US-Bürger würden von einer Erhöhung des Mindestlohns auf zehn Dollar direkt profitieren. (Bild: ap/Stephan Savoia)

Klassisches amerikanisches Restaurant: 3,8 Millionen US-Bürger würden von einer Erhöhung des Mindestlohns auf zehn Dollar direkt profitieren. (Bild: ap/Stephan Savoia)

WASHINGTON. Glenn Murphy machte sich bei einigen seiner konservativen Freunden kürzlich unbeliebt. Der Präsident der Bekleidungskette GAP verkündete, seine Kette werde die Löhne für die zum Stundenlohn beschäftigten Arbeiter in diesem Jahr auf neun und im kommenden Jahr auf zehn Dollar anheben. Keine Kleinigkeit für ein Unternehmen, das seine 65 000 Mitarbeiter bis jetzt mit dem gesetzlichen Mindestlohn entlöhnt.

Dieser liegt in den USA national bei sieben Dollar und 35 Cent und ist seit 2007 nicht mehr erhöht worden. Rechnet man die Inflation hinzu, entspricht das einem realen Einkommensverlust der Niedriglohnarbeiter von zwölf Prozent. Für Murphy hat die Entscheidung nichts mit Wohlfahrt, sondern mit unternehmerischer Klugheit zu tun. «Wir unterstützen damit direkt unser Geschäft», erklärt der Chef des Modeherstellers aus San Francisco. «Wir werden das über die Zeit um ein Vielfaches wieder herausholen.»

Geringere Fluktuation

GAP verspricht sich in erster Linie eine geringere Fluktuation. Wenn Stundenlohn-Beschäftigte zufriedener mit ihrem Verdienst sind, haben sie weniger Grund, sich nach einem neuen Job umzuschauen. Kostspielige Anlernzeit lässt sich dadurch minimieren. Gleichzeitig zeigen die Niedriglohnarbeiter mehr Motivation, übernehmen eher Verantwortung und identifizieren sich eher mit dem Unternehmen. Das sind die Vorteile, die Murphy sieht, und die andere Unternehmen wie die Grosshandelskette Costco aus ihrer Erfahrung bestätigen können. Selbst der Supermarktriese Walmart wehrt sich nicht gegen die von Präsident Obama in seiner Rede zur Lage der Nation angesprochene Erhöhung des Mindestlohns auf zehn Dollar für die 3,8 Millionen Amerikaner, die davon direkt profitieren würden. Indirekt wären es nach Schätzungen des unabhängigen Rechnungshofs des US-Kongresses (CBO) rund 16,5 Millionen Beschäftigte, die in einem Dominoeffekt mehr verdienen würden.

Angst vor Arbeitsplatzverlust

Konservative Politiker und Ökonomen erwarten hingegen negative Effekte auf dem Arbeitsmarkt. Auch für diese Sicht liefert die CBO-Schätzung Munition. Demnach könnte die Anhebung des Mindestlohns zu einem Arbeitsplatzverlust von 0,3 Prozentpunkten führen. Harvard-Ökonom Larry Katz mahnt, das tatsächliche Verhältnis nicht aus dem Auge zu verlieren. «Die überwältigende Mehrheit der Amerikaner profitiert von einer Erhöhung.»

Obama rennt mit der Forderung nach einer Anpassung des Mindestlohns nicht nur bei GAP-Chef Murphy offene Türen ein. Auch politisch ist das ein Thema, mit dem sich bei den Wahlen zum Kongress im November punkten lässt. In aktuellen Umfragen sprechen sich 70 Prozent aller Befragten für eine Anhebung des Mindestlohns aus.