Ärzte verdienen deutlich mehr als bisher bekannt, zeigt eine neu veröffentlichte Studie. Auffallend ist der grosse Unterschied zwischen Spezialisten und Grundversorgern.
Das Einkommen von selbstständigen Ärzten, sprich Mediziner mit einer eigenen Praxis, liegt im Durchschnitt bei 320'000 Franken. Angestellte Ärzte kamen auf 227'000 Franken. Dies zeigt eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) veröffentlichte Studie, die das Einkommen von 21'000 Ärzten im Zeitraum zwischen 2009 und 2014 unter die Lupe genommen hat.
Die hohen Löhne gehen einher mit einer aufwendigen Ausbildung, langen Arbeitszeiten und einer grossen Verantwortung. Trotzdem reiben sich Gesundheitspolitiker die Augen. Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG) sagt: «Die Studie entlarvt das Jammern der Ärzteschaft über einen ungenügenden Arzttarif.» Das zeigten vor allem die Durchschnittslöhne von selbstständigen Neurochirurgen (818'000 Franken) oder Gastroenterologen (Magen-Darm-Spezialisten, 684'000 Franken). Die Grundversorger, also Hausärzte, verdienten hingegen «nur»
264'000 Franken. Ruth Humbel fordert deshalb: «Tarifpositionen gewisser Fachdisziplinen im Hochkostenbereich müssen zu Gunsten der Ärzte in der Grundversorgung reduziert werden.»
Die Studie wirft auch ein Schlaglicht auf die Spitzenlöhne der Branche. 118 Ärzte (0,6 Prozent der untersuchten Personen) verdienten 2014 mehr als eine Million. Wie viel davon zu Lasten der obligatorischen Grundversicherung geht, lasse sich aber nicht sagen, erklärt Studienautor Kilian Künzi. Bei der Diskussion über Ärztelöhne solle man sich aber nicht auf diese Minderheit fokussieren. Auch andere Studien beleuchteten jüngst die Topverdiener der Ärzteschaft.
So verdient ein Grossteil der Schweizer Chef- und Belegärzte laut einer Untersuchung des Vergütungsexperten Urs Klingler zwischen 350'000 und 1,5 Millionen Franken pro Jahr, jeder vierte sogar mehr als 1,5 Millionen. Das macht hellhörig.
Sogar Gesundheitsminister Alain Berset machte die Ärztelöhne im Februar zum Thema und echauffierte sich über jene Fälle, in denen Mediziner alleine aus der Grundversicherung Einkommen von über einer Million Franken generierten. Bersets Aussage sorgte für Empörung, auch unter den Ärzten. Josef E. Brandenberg, Präsident des Dachverbands der Chirurgen (FMCH), forderte Berset auf, ihm diese «schwarzen Schafe» namentlich zu nennen. Das sei bis heute nicht geschehen, sagt Brandenberg. Angesprochen auf die 118 Einkommensmillionäre betont er: «Falls diese Ärztinnen oder Ärzte aus der obligatorischen Versicherung so viel verdienten, wäre das nur mit ‹Bschiss› möglich.»
Dass das höchste Einkommensprozent der Chirurgen 2014 im Schnitt 1,1 Million Franken verdiente, geht für Brandenberg in Ordnung, falls es sich tatsächlich auch um Topchirurgen handelte. «Chefärzte sind heutzutage Topmanager mit grosser Verantwortung.» Meist seien sie internationale Grössen, die auch «Botschafter für die Schweizer Qualität» sind. «Schliesslich verdient Roger Federer auch mehr als der Tennislehrer von Hintereggen», sagt Brandenberg.
Anders sieht das der Bündner SVP-Nationalrat Heinz Brand: «Die teilweise extrem hohen Einkünfte dürften die Erwartungshaltung der Ärzte zusätzlich befeuern. Die fatale Spirale, die keine Grenzen kennt, dürfte schon lange im Gang sein», sagt der Gesundheitspolitiker. Brand fordert eine Überarbeitung der Tarife.
Der Schweizer Ärzteverband (FMH) sieht die Studie kritisch, unter anderem deshalb, weil sie die oft niedrigen Löhne der Assistenzärzte nicht mitberechne. Die «selektive Betrachtung» von statistischen Ausreissern sei «nicht lösungsorientiert». Der Verband verweist auf eine im April veröffentlichte Studie, die für Ärzte in Praxen und ambulanten Zentren ein Durchschnittseinkommen von 155'000 Franken errechnete, davon 138'000 Franken aus der Grundversicherung. Kurz gesagt: Mehr Hausärzte braucht das Land, wenn es bei den Gesundheitskosten sparen will. Doch wer will schon Hausarzt werden, wenn die Entlöhnung der Grundversorger derart krass hinter jener der Spezialisten hinterherhinkt.