Arbeitgeber ärgern sich über «veritablen Fehlstart»

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Reaktionen Der Bundesrat legte gestern einen mehr oder weniger vagen Plan für die Neuauflage der Rentenreform vor. Etwa bei der Frage, wie das höhere Rentenalter für die Frauen ausgeglichen werden soll, wurde er noch nicht konkret. Das war bei der Frage, wie viel zusätzliches Geld in die erste Säule eingeschossen werden soll, schon anders. Und die vorgeschlagenen 1,7 Prozent Mehrwertsteuererhöhung, mit der die AHV-Finanzen bis 2033 gesichert werden sollen, waren denn auch jener Eckwert, der gestern am meisten zu reden gab. Das gilt gerade für das bürger­liche Lager.

FDP-Präsidentin Petra Gössi sagt, es brauche nun eine mehrheitsfähige Reform. «Und 1,7 Prozent mehr Mehrwertsteuer sind nicht mehrheitsfähig. Für uns ist das inakzeptabel», sagt die Schwyzerin. Ähnlich tönt es bei der SVP. Nationalrat Thomas de Courten bezeichnet die 1,7 Prozent als «absolut nicht verdaubar». Deutliche Worte fand Martin Kaiser vom Arbeitgeberverband. Der Vorschlag stehe für einen «veritablen Fehlstart» des Bundesrats. «Er befindet sich mit dieser Vorlage auf Crashkurs», sagt Kaiser. Es brauche keine ­Zusatzfinanzierung auf Vorrat.

Rentenalter soll diskutiert werden

Den Arbeitgebern schwebt eine andere Reform vor, eine der kleinen Schritte. Das erste Paket würde eine Erhöhung des Frauenrentenalters und eine 0,6 Prozent höhere Mehrwertsteuer mit sich bringen; für Martin Kaiser ist klar, dass in einem zweiten Schritt auch ein höheres Rentenalter aufs Tapet kommen müsste. «Die Schweiz kommt nicht darum herum, dieses wie andere europäische Länder zu erhöhen. Die Leute verstehen das auch, das zeigen neuste Umfragen deutlich», sagt Kaiser.

Im Mitte-links-Lager, also ­jenem, das die erste Auflage der Rentenreform geprägt hatte und am 24. September an der Urne scheiterte, stösst die deutliche Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer auf mehr Anklang. Ruth Humbel von der CVP etwa hält die Stossrichtung des Bundesrats für grundsätzlich richtig. Der Gewerkschaftsbund (SGB) bezeichnet die AHV-Zusatzfinanzierung als «positiv». Präsident Paul Rechsteiner übt aber auch grundsätzliche Kritik: «Das grosse Rentenproblem wird mit dieser Reform nicht angegangen: Die Menschen haben weniger Geld zur Verfügung, weil die Pensionskassenrenten sinken.»

Kompensation für die Frauen – nur welche?

Neben der AHV-Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer werden vor allem die Kompensationsmassnahmen für die Rentenaltererhöhung der Frauen noch viel zu reden geben. Dass es diese Massnahmen braucht, um die Reform an der Urne durchzubringen, stellt niemand in Abrede. So heisst es beim Arbeitgeberverband, eigentlich gebe es nichts zu kompensieren. Man sei aber bereit, «ein soziales Korrektiv mitzutragen, das Menschen mit tiefen Einkommen erlaubt, früher in Rente zu gehen», so Martin Kaiser. Davon würden vor allem Frauen profitieren. Für FDP-Präsidentin Petra Gössi ist klar, dass es eine soziale Abfederung brauchen wird. Maximal ein Viertel der Einsparungen durch das höhere Frauenrentenalter dürfen in ihren Augen dafür eingesetzt werden, also rund 300 Millionen Franken.

Im linken Lager will der SGB von einer Erhöhung des Frauenrentenalters generell nichts wissen. Die SP pocht derweil auf eine «substanzielle Kompensation». Ohne eine solche, so Vizepräsidentin Barbara Gysi, werde man für eine neue Reform keine Hand bieten: «Wenn der Bundesrat plant, die Sozialwerke auf dem Buckel der Frauen zu sanieren, hat er die Rechnung ohne sie ­gemacht.» CVP-Nationalrätin Humbel warnt derweil davor, eine Reform gegen links durchdrücken zu wollen. Die Vorlage müsse den Frauen «einen wirklichen Nutzen bringen».

Sven Altermatt, Dominic Wirth