Das Parlament hat sich bei der Rentenreform auch gestern nicht geeinigt. Jetzt muss die Einigungskonferenz eine Lösung finden. Am Donnerstag kommt es im Bundeshaus dann zum grossen Showdown.
Dominic Wirth
Seit über zwei Jahren treibt das Thema Altersvorsorge das Parlament jetzt schon um. Eine gemeinsame Lösung aber haben National- und Ständerat nicht gefunden. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu, wie es jetzt weitergeht.
Der National- und der Ständerat haben sich auch gestern nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen können. Was ist der nächste Schritt?
Jetzt kommt die Einigungskonferenz zum Zug. Diese tritt heute Abend zusammen. Die für das Geschäft zuständigen Sozialkommissionen von National- und Ständerat senden jeweils 13 Mitglieder in die Einigungskonferenz. Aus der Ständeratskommission sind sämtliche Vertreter dabei; auf Seiten des Nationalrats können lediglich 13 der 25 Mitglieder teilnehmen. Die Einigungskonferenz stellt einen Antrag, mit dem sämtliche Differenzen bereinigt werden. Dafür braucht es die Mehrheit der Stimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Präsident, in diesem Fall Ständerat Konrad Graber (CVP/LU).
Mit welchem Ergebnis ist zu rechnen?
Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Einigungskonferenz wird sich sehr wahrscheinlich die Ständeratslösung durchsetzen. SP und CVP kommen auf 14 der 26 Stimmen. Sie dürften dem 70-Franken-Zuschlag in der AHV und der Erhöhung des Ehepaar-Plafonds von 150 auf 155 Prozent zum Durchbruch verhelfen. Auf diese Art will die Mitte-Links-Allianz primär die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 und die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent kompensieren. Finanziert werden soll der Ausbau in der ersten Säule mit einer Erhöhung der AHV-Beiträge um 0,3 Prozent. Daneben will der Ständerat die Mehrwertsteuer um 1 Prozent erhöhen. Hier könnte heute Abend am ehesten noch etwas passieren: Es ist denkbar, dass die Mehrwertsteuer statt um 1 Prozent etwa nur um 0,8 Prozent erhöht wird – als Kompromissangebot an jene Parteien, die vom Ständeratsvorschlag derzeit nichts wissen wollen: FDP, GLP und SVP.
Heute Abend liegt also ein Einigungsantrag vor. Was passiert danach?
Morgen und übermorgen wird es im Bundeshaus heiss zu- und hergehen. Zuerst befassen sich die verschiedenen Fraktionen hinter verschlossenen Türen mit dem Antrag der Einigungskonferenz. Am Donnerstagmorgen wird es dann richtig spannend: Zuerst entscheidet der Ständerat über den Antrag der Einigungskonferenz. Weil er mit grosser Wahrscheinlichkeit über sein eigenes Kompensationsmodell befinden wird, ist ein Ja absehbar. Knackpunkt wird die Abstimmung im Nationalrat. Denn wenn der Einigungsantrag in einem der beiden Räte verworfen wird, steht das Parlament vor einem Scherbenhaufen. Mit der dringend notwendigen Rentenreform wird es dann vorerst nichts. Am Freitagmorgen stehen noch die Schlussabstimmungen auf dem Programm. Die grösste Hürde muss die Reform aber am Donnerstag nehmen.
Wie gross ist die Chance, dass es am Ende tatsächlich zum totalen Absturz der Reform kommt?
Darüber entscheidet der Nationalrat, und dort geht es um wenige Stimmen. Da in der Ständeratslösung eine Erhöhung der AHV-Rente vorgesehen ist, muss die Ausgabenbremse gelöst werden. Dafür ist im Nationalrat eine absolute Mehrheit notwendig –also 101 der 200 Stimmen. CVP und SP können auf die Unterstützung der BDP und der Grünen zählen. Das ergibt 92 Ja-Stimmen, wobei eine unsicher ist: Jene von Denis de la Reussille von der Partei der Arbeit. Der Neuenburger liebäugelt laut Medienberichten damit, sich zu enthalten, weil ihm die Vorlage zu weit geht.
Dafür kann Mitte-Links auf ein paar Stimmen von rechts zählen, jene der zwei Lega-Vertreter und allenfalls auch des Nationalrats des Mouvement Citoyens Genevois, Roger Golay. Das reicht allerdings noch nicht aus. Zünglein an der Waage könnten die sieben GLP-Nationalräte spielen. Bisher stellten diese sich stets an die Seite von FDP und SVP und unterstützten das Nationalratsmodell. Ob die Partei auch ein Scheitern der Vorlage in Kauf nimmt, wird sich am Donnerstag zeigen. Offen ist, ob einzelne FDP-Vertreter Ja stimmen, weil sie einen Absturz vermeiden wollen. Und auch Bauernvertreter aus der SVP könnten am Ende den Ja-Knopf drücken – dem grossen Druck innerhalb der Partei zum Trotz.
Kommt es bei einem Ja im Parlament noch zu einer Volksabstimmung?
Ja, das wird es auf jeden Fall, weil die Erhöhung der Mehrwertsteuer zwingend vor das Volk muss. Das Parlament hat in dieser Session beschlossen, dass diese Erhöhung mit den Kernelementen der Reform verknüpft wird. Gemäss der Bundeskanzlei kann das Referendum aber auch noch separat gegen das Bundesgesetz zur Rentenreform ergriffen werden. Ob dies passiert, ist eine politische und abstimmungstaktische Frage.