ALTERSVORSORGE: Berset pokert hoch

Der Sozialminister gilt als geschickter Taktiker. Doch nach fünf Jahren im Bundesrat braucht er mit der Rentenreform endlich einen Erfolg in einem Kerndossier. Die Absturzgefahr ist gross.

Tobias Gafafer
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Alain Berset hat sich bei der Rentenreform so viel vorgenommen wie kein Bundesrat vor ihm. (Bild: Peter Schneider/KEY)

Alain Berset hat sich bei der Rentenreform so viel vorgenommen wie kein Bundesrat vor ihm. (Bild: Peter Schneider/KEY)

Tobias Gafafer

Es sind wohl die intensivsten drei Wochen seiner Politkarriere. Gestern verteidigte Sozialminister Alain Berset im Nationalrat die Rentenreform, nächste Woche folgt der Ständerat, und danach die Einigungskonferenz. Der Freiburger setzte am Rednerpult sein Pokerface auf und sprach, wie er es oft tut: dossiersicher, eloquent und zweisprachig. 145 Stunden hätten die Parlamentarier die Vorlage bereits beraten, 51 Zusatzberichte habe der Bund abgeliefert. Grösste Gefahr sei es, bei der Sicherung der Altersvorsorge die Gesamtsicht zu verlieren. Berset liess keine Zweifel aufkommen, dass das Ständeratsmodell mit dem AHV-Zuschlag für ihn der bessere Weg ist. Fakten, die dagegen sprechen, liess er aus, während er die Schwächen des Modells des Nationalrats kritisierte. Dieser blieb vorerst hart

Bei der Reform geht es um viel, für die Altersvorsorge und für den SP-Magistraten. Gewiss, über das Schicksal der Vorlage entscheidet das Parlament. Doch Berset hat sich viel vorgenommen, so viel wie kein Sozialminister vor ihm. Er drückte eine Paketlösung für die erste und zweite Säule, die den jahrelangen Reformstau lösen soll, durch den Bundesrat. Ob das ambitionierte Projekt gelingt, bleibt fraglich. Die Absturzgefahr im Parlament oder vor dem Volk ist gross, die Angriffsflächen sind zahlreich.

Linke und Rechte drohen mit Referendum

Der Unmut wächst. Linke wollen das Referendum ergreifen, weil sie sich am höheren Frauenrentenalter und dem tieferen Umwandlungssatz stören. Das stellt die Taktik von Berset und der SP-Spitze in Frage, welche die linke Basis mit dem Zückerchen von 70 Franken bei der AHV ködern wollten. Auch Bürgerliche drohen mit dem Referendum. Ihnen geht der AHV-Zuschlag wegen der hohen Kosten zu weit. Kommt hinzu, dass der Bundesrat ursprünglich selber auf ein Modell setzte, das Rentenausfälle in der zweiten Säule kompensieren wollte. Berset habe sich regelrecht am AHV-Ausbau festgebissen, den SP und CVP im Ständerat einfädelten, sagt Alex Kuprecht (SVP/SZ). Jetzt könnte dieser zum Scheitern der Vorlage führen.

Der Freiburger Staatsrat und alt SP-Nationalrat Jean-François Steiert, ein erfahrener Sozialpolitiker, verteidigt seinen Weggefährten. Ohne die 70 Franken sei von der linken Basis mit keiner Unterstützung zu rechnen. «Eine risikolose Variante gibt es nicht. Berset hat auf die am wenigsten gefährliche Lösung gesetzt.» Der Sozialminister hat in den letzten Wochen den Druck nochmals erhöht. Im Januar warnte er an einem Anlass des Pensionskassenverbandes, eine neue Vorlage wäre erst 2025 möglich. «Es gibt keinen Plan B.» Sein Kalkül: Die Branche soll ihre Interessenvertreter dazu bewegen, den AHV-Zuschlag zu schlucken.

Taktik allein führt nicht zum Sieg

Selbst politische Gegner attestieren Berset viel taktisches Geschick. So viel, dass sie ihm verstärkt auf die Finger schauen. «Druck erzeugt Gegendruck», sagt SVP-Ständerat Alex Kuprecht. Mehrere Vorlagen des Innenministers hatten im Parlament denn auch einen schweren Stand, das Tabakproduktegesetz etwa. Nach fünf Jahren im Bundesrat braucht er endlich einen Erfolg. Zwar brachte Berset einen millionenschweren Ausbau der Kultursubventionen durchs Parlament. Und im Streit um die Entschädigung von Asbestopfern kam es zur Einigung. Doch in seinen Kerndossiers, dem Gesundheitswesen und den Sozialversicherungen, kann er bisher wenig vorweisen. Bei der letzten IV-Revision taktierte Berset und sagte, Kürzungen seien unnötig. Am Ende versenkte eine unheilige Allianz die Vorlage. Berset mache bei der Rentenreform denselben Fehler, warnt Nationalrätin Isabelle Moret (FDP/VD).

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Berset und der Ständerat könnten sich durchsetzen, wenn das Parlament bloss die Wahl zwischen dem AHV-Zuschlag und dem Status quo hat. Der Freiburger hätte damit seine schwierigste Aufgabe gelöst und könnte bei einer der nächsten Bundesratsvakanzen einen Wechsel ins Finanz- oder Aussendepartement anstreben. Zwei Departemente, die ihn dem Vernehmen nach reizen würden.