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Schweiz
SVP-Präsident Albert Rösti zitierte an der Delegiertenversammlung seiner Partei aus dem Nazi-Wortschatz. Er selbst würde so etwas nie sagen, beteuert er.
Albert Rösti zog am Samstag vor den Delegierten der SVP Schweiz kräftig vom Leder. Dass der Klimawandel derzeit die Agenda von Land und Leuten bestimmt, passt dem Präsidenten der grössten Partei der Schweiz gar nicht. «Die Linksparteien, unterstützt von der grossen Medienschar, berichten seit Monaten nur noch über das Klima», klagte der Berner Nationalrat an. In seinem Kampf gegen vorgeblich parteiische Medien bediente sich der SVP-Präsident jedoch in obskuren Arsenalen.
So steht in der schriftlichen Version seiner Samstagsrede beispielsweise der Satz:
Gezielt werden in der Systempresse Ängste geschürt.
Dieser Ausdruck stammt aus übelster Küche. Als «Systempresse» bezeichneten die Nationalsozialisten in der Weimarer Republik die ihnen nicht genehmen Medien. Heute bedienen sich rechte Extremisten gerne dieses Worts.
Rösti hat die auffallend lange Passage seiner Rede, in der «Systempresse» vorkommt, nicht selbst geschrieben. Sie stammt – wie etwa die Hälfte seines Referats – aus fremder Feder. Und zwar aus der Feder einer gewissen «Ingenieurin Isabel Villalon», wie Rösti in der schriftlichen Fassung seiner Rede festhält. Die Autorin habe auf dem Internetportal Inside Paradeplatz «in eindrücklicher Weise» beschrieben, dass die «Freiheit in unmittelbarer Gefahr» sei. Der Artikel, aus dem Rösti zitiert, trägt den Titel «Auf zum Rütlirapport, Ihr Waschlappen». Es geht dort darum, dass der Bundesrat im Zweiten Weltkrieg angeblich die Schweiz verraten wollte. «Der Schweizer Bundesrat von damals war eine Bande von Zauderern und Anpassern, die Hosen ziemlich voll, womöglich bereits mit Nazi-Deutschland in Geheimverhandlungen verstrickt», steht da etwa.
Bei der von Rösti breit zitierten Autorin Villalon handelt es sich um eine 2011 in Horgen ZH eingebürgerte Spanierin. Im Februar bezeichnete der «Sonntags-Blick» einen Villalon-Artikel als «Hetze gegen Flüchtlinge». Röstis Kronzeugin hatte sich in einem Pamphlet über Asylbewerber ausgelassen. Der «Sonntags-Blick» überprüfte ihre Behauptungen beim Staatssekretariat für Migration und kam zum Schluss: «Der Artikel bedient sich nicht nur billigster Polemik, sondern beinhaltet auch unbestreitbare faktische Fehler.» In dem Aufsatz, den Albert Rösti am Samstag zitierte, wird die EU im Grunde mit Nazi-Deutschland gleichgesetzt. «Genau wie damals zeigt sich der Bundesrat nämlich gegenüber der drohenden, uns umgebenden EU anpasserisch.» Und: «Die Situation kann also durchaus mit dem Zeitpunkt nach den Radioansprachen der Bundesräte Pilet-Golaz und Etter verglichen werden.»
Rösti war offensichtlich angetan vom Werk seiner Kronzeugin: «Ich könnte die Situation nicht treffender beschreiben», schrieb er in seine Rede. Diese Zeitung wollte von Albert Rösti wissen: Vertreten er und die SVP wirklich die Ansicht, dass die EU mit Nazi-Deutschland zu vergleichen ist? Wie kommt es, dass ein Mann wie Rösti mit Nazi-Ausdrücken wie «Systempresse» operiert? Wie steht diese Autorin Isabel Villalon zu Rösti und zur SVP?
In Absprache mit Rösti antwortete die stellvertretende SVP-Generalsekretärin Silvia Bär. Sie teilte mit:
Albert Rösti zitiert den ganzen Artikel aus ‹Inside Paradeplatz› von der ihm und uns nicht bekannten Ingenieurin Isabel Villalon. Er benutzt diese Wörter entsprechend nicht und würde sie auch nicht benutzen.
Eine interessante Aussage: Albert Rösti zitiert einen Text, den er gut findet, ohne die darin enthalten Wörter zu benutzen.
«Hingegen», so Silvia Bär weiter, «gilt die Medienschelte, dass die Medien unbeirrt und täglich jeden Wetterwechsel als Folge des Klimawandels etc. darstellen, aber über eine 40-seitige Grundsatzkritik der SVP ‹Stopp dem links-grünen Raubzug auf den Mittelstand› praktisch kein Wort berichten.» Das sei «Verbreitung von Fake News und entbehrt den alten Grundsätzen objektiver und breit abgestützter Berichterstattung».
Rösti sei es beim Zitieren des Textes um die Grundfrage gegangen, wie sich die offizielle Schweiz, also der Bundesrat, durch die Geschichte hindurch positioniere. «Nicht nur, aber auch im Zweiten Weltkrieg gab es im Bundesrat eine Mehrheit von Zauderern und Anpassern. Widerstand braucht Kraft», so Bär. Leider sei davon auszugehen, dass der Bundesrat nach den Wahlen vom Oktober «seinen Widerstand gegenüber der EU aufgeben und den Rahmenvertrag ohne wirkliche Anpassungen abschliessen» werde.