In einem offenen Brief kritisieren die Jungparteien von Mitte, GLP, EVP und SVP die «ideologische Blockadehaltung» der Gewerkschaften in der Diskussion um die Reform der Altersvorsorge. Sie fordern Gerechtigkeit für alle Generationen – auch für die Jungen.
Marc Rüdisüli hat Jahrgang 1998. In Pension geht der Präsident der Jungen Mitte also frühestens im Jahr 2063. Kein Grund also, sich bereits heute mit der Altersvorsorge zu beschäftigen? Im Gegenteil, sagt Rüdisüli: «Wir müssen uns jetzt dafür einsetzen, dass die Renten der künftigen Generationen gesichert sind.» Seit seiner Geburt habe die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) in der Schweiz noch keine einzige Reform erfahren. Die letzte Revision geht auf das Jahr 1997 zurück. «Das muss sich ändern», so Rüdisüli. «Unsere Altersvorsorge steht mächtig in Schieflage. Wir müssen verhindern, dass die Jungen die massiven Kosten politischer Untätigkeit tragen.» Aus diesem Grund setzt er sich gemeinsam mit anderen Jungparteien für die Reform AHV 21 ein.
Mit der vom Parlament im Dezember verabschiedeten Vorlage soll das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre erhöht und damit jenem der Männer gleichgestellt werden. Die Frauen aus den Übergangsjahrgängen erhalten Ausgleichszahlungen – tritt die Reform 2023 in Kraft, gehen diese Beiträge an die Jahrgänge 1960 bis 1968. Weiter sollen die Mehrwertsteuer um 0,4 Prozentpunkte erhöht und das Rentenbezugsalter flexibilisiert werden. Ziel der Reform ist, die Finanzen der AHV bis 2030 zu sichern und das Niveau der Rentenleistungen zu erhalten. Weil ein Bündnis aus Gewerkschaften, linken Parteien und Frauenverbänden das Referendum ergriffen hat, stimmt das Volk voraussichtlich im September über die Vorlage ab.
Anstatt dabei allerdings nur über die Rentenaltererhöhung der Frauen zu diskutieren, müsse nun die «Generationengerechtigkeit» thematisiert werden, so der Student aus dem Kanton Thurgau. In einem offenen Brief unterstellen die Jungparteien von GLP, EVP, Mitte und SVP dem SP-Nationalrat und Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard, er setze die «soziale Sicherheit aller zukünftigen Generationen» aufs Spiel, indem er das Referendum gegen die AHV 21 anführe. «Sie nehmen mit Ihrer ideologischen Blockadehaltung die zusätzliche Belastung von Generationen in Kauf, die in Zukunft viele weitere Herausforderungen stemmen müssen», schreiben die Jungparteien im Brief weiter und fordern ihn auf, davon abzukommen.
Heute finanzieren Erwerbstätige über das Umlageverfahren die Altersrenten. Das heisst: Das Geld, das Erwerbstätige und Arbeitgeber an die AHV abgeben müssen, fliesst direkt zu den Pensionierten. Da dadurch nicht alle Rentenleistungen gedeckt werden können, steuert der Bund einen Teil zur AHV-Finanzierung bei. Seit 1999 wird zudem ein Teil der Einnahmen durch die Mehrwertsteuer für die AHV verwendet.
Das Problem: Weil die Menschen in der Schweiz immer älter werden und über längere Zeit Rente beziehen, wächst das Loch in der AHV-Kasse. Das Finanzierungsproblem nimmt in den kommenden Jahren noch zu. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat errechnet, dass der AHV bis 2030 über 40 Milliarden Franken fehlen, wenn keine Reformen gelingen.
Die missliche Lage der AHV hat Folgen für die junge Generation. Aktuell finanzieren im Schnitt etwas mehr als drei Erwerbstätige die Rente einer einzigen pensionierten Person. Entwickelt sich die Situation wie bis anhin, dürfte es 2050 gar nur noch zwei Erwerbstätige pro Rentner geben. Oder anders gesagt: Immer weniger Junge müssen immer mehr Renten finanzieren. Die Jungen sind also in einer schlechten Position: Sie müssen künftig für weit mehr Rentnerinnen solidarisch sorgen, wissen aber nicht, ob sie später ebenfalls eine garantierte Rente erhalten wie frühere Generationen.
Die vom Parlament im Dezember beschlossene Reform AHV 21 soll diese Entwicklung bremsen. Marc Rüdisüli betont schon jetzt, dass es mit der Annahme der Reform in der Volksabstimmung noch nicht getan sei: «Wir haben damit eine Lösung für die Zeit bis 2030. Danach muss es aber weitere Schritte geben», so der Präsident der Jungen Mitte.
Zu diesem Schluss kommt auch eine vor kurzem veröffentlichte Studie der UBS und des Forschungszentrums Generationenverträge der Universität Freiburg im Breisgau. Die Autoren plädieren darin für zusätzliche Reformen, deren Kosten allerdings nicht alleine auf den Schultern der jungen Bevölkerung lasten.
Auch Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, will bei der AHV vorwärtsmachen. Weil seine Partei die Parole für die AHV-Abstimmung allerdings erst im Juni fassen werde, habe er den offenen Brief nicht unterschrieben. Vermutlich laufe es an der Delegiertenversammlung auf ein «zähneknirschendes Ja» hinaus, so Müller.
Zähneknirschend, weil «die Ausgleichsmassnahmen für die vorgesehenen Frauenjahrgänge die Jungen teuer zu stehen kommen». Und weil die «Minireform» den Jungfreisinnigen zu wenig weit geht: «Die Massnahmen reichen nicht aus, wir werden uns auch nach der Abstimmung vehement für unsere Renteninitiative einsetzen.» Diese von den Jungfreisinnigen eingereichte Initiative sieht vor, dass das Pensionsalter auf 66 Jahre erhöht und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt wird. Sie wird noch in diesem Jahr im Parlament beraten. Klar ist schon jetzt: Sollte die AHV 21 an der Urne scheitern, dürfte auch die Renteninitiative kaum eine Chance haben vor dem Volk.