Die Jungfreisinnigen weibeln an vorderster Front gegen die Altersvorsorge 2020. Mittendrin: Der 23-jährige Andri Silberschmidt, Parteipräsident und Banker, der seine Leidenschaft für die Politik nur durch Zufall entdeckt hat.
Michel Burtscher
Plötzlich wird Andri Silberschmidt laut. «Nein», ruft der Präsident der Jungfreisinnigen seiner Gegnerin auf der Bühne zu. Es geht am Podium in Dietikon gerade um die Frage, ob die Rentenreform, über welche die Schweiz bald abstimmt, ein Kompromiss ist. «Die eine Seite hat ihre Anliegen durchgeboxt, ohne Rücksicht auf die andere», sagt er. Ihm gegenüber sitzt die Zürcher SP-Kantonsrätin Rosmarie Joss. Für sie ist klar, dass es diese Reform braucht und auch, dass sie ausgewogen ist. Die lokalen Sektionen der FDP und SP haben zu diesem Podium über die Altersvorsorge 2020 eingeladen. Und jungen Politikern wollten sie dabei eine Stimme geben, weil man von dieser Generation bisher zu wenig gehört habe zu diesem Thema. Mit seinen 23 Jahren ist Silberschmidt tatsächlich der Jüngste im Saal. Die meisten Gäste sind deutlich älter als er, und damit viel näher dran am Rentenalter oder haben es bereits erreicht. Trotzdem erklärt ihnen der Banker selbstbewusst, warum die Vorlage unfair gegenüber den Jungen sei und wie er das Rentensystem reformieren würde. Ein Mann im Publikum schüttelt immer wieder den Kopf, wenn Silberschmidt spricht – und nimmt ihn später noch mit angriffigen Fragen in die Mangel. Bei Anlässen zur Rentenreform seien es meist die Gegner der Vorlage, die vom Publikum ausgefragt und auch kritisiert würden, sagt der Jungpolitiker später.
Trotzdem tritt er gerne an solchen Podien auf. Und er tut es in diesen Tagen oft. Silberschmidt ist viel unterwegs, jede Woche an mehreren Veranstaltungen, der Abstimmungskampf zur Rentenreform läuft auf Hochtouren. Und die Jungfreisinnigen mischen dabei an vorderster Front mit. Sie führen eine eigene Kampagne, unabhängig von ihrer Mutterpartei. Über 30000 Franken haben sie dafür gesammelt. «Seit ich bei den Jungfreisinnigen aktiv bin, ist das unsere grösste Abstimmungskampagne», sagt Silberschmidt. In die Partei eingetreten ist er 2011, damals war er 17 Jahre alt. Seine Leidenschaft für die Politik entdeckte er durch Zufall – beziehungsweise durch seinen Lehrbetrieb, der Zürcher Kantonalbank. Jedes Jahr darf einer ihrer Lehrlinge eine Rede an der Bundesfeier auf dem Bürkliplatz in Zürich halten. Silberschmidt wurde damals dafür ausgewählt. «Da musste ich mir überlegen, was ich sagen wollte und mir eine Meinung bilden», erinnert er sich. Das habe ihm Spass gemacht – und ihn dazu ermutigt, in die Politik zu gehen.
Dann ging alles schnell: Noch im gleichen Jahr trat er den Jungfreisinnigen bei, war dann Mitbegründer der Bezirkspartei Hinwil, später drei Jahre Kantonalpräsident der Partei, vor eineinhalb Jahren wurde er zum Präsidenten der Jungfreisinnigen Schweiz gewählt. Ein steiler Aufstieg.
Silberschmidt bezeichnet sich selber als Pragmatiker, als Zahlenmenschen. Das ist gleichzeitig seine Stärke und seine Schwäche. Denn: «Als Politiker muss man manchmal auch eine emotionale Seite zeigen», sagt er selbstkritisch. Provokation und Polemik, wie sie seine Widersacher von der Juso so gut beherrschen, sind nicht sein Ding. Konfrontiert ist er damit aber durchaus. Ihn störe, wenn er pauschalisierend in eine Ecke gestellt werde, sagt er: «Wenn man als Jungfreisinner einen Kragen trägt, dann ist man in den Augen von Kritikern automatisch mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen.»
So ist es aber nicht, Silberschmidt kommt aus einer Mittelstandsfamilie. Er wuchs im Zürcher Oberland auf, in Gossau, einer Gemeinde mit 10000 Einwohnern. Seine Mutter ist Verkäuferin, sein Vater arbeitet bei einer Schule im IT-Bereich. Vergangenes Jahr ist Silberschmidt aus dem Elternhaus ausgezogen nach Zürich, in eine Wohngemeinschaft. «Ich kann nicht ständig von der Selbstverantwortung reden und gleichzeitig noch im Hotel Mama wohnen», sagt er.
Nach dem Podium in Dietikon muss Silberschmidt schnell weiter, er ist noch an einen Apéro eingeladen. Bald zeigt sich, ob sich sein Einsatz gegen die Rentenreform gelohnt hat. Doch wie die Abstimmung auch ausgeht: Schon bald wartet die nächste Herausforderung auf den Jungpolitiker. Im kommenden Jahr will er für den Zürcher Gemeinderat kandidieren. Klar ist für ihn aber: «Ich will meinen Lebensunterhalt mit meinem Job verdienen und nicht mit der Politik», sagt Silberschmidt.
Trotzdem wendet er, so schätzt er, im Moment etwa 30 Stunden pro Woche für die Politik auf. Sein Bachelorstudium hat er kürzlich abgeschlossen, im Herbst beginnt er mit dem Master. Vor einem halben Jahr hat er zudem mit Kollegen ein Restaurant eröffnet. Braucht er nicht auch einmal eine Auszeit, will einfach weg, für längere Zeit reisen, wie es viele andere in seinem Alter tun? «Nein, mir gefällt es hier, mir gefällt, was ich mache», sagt Silberschmidt.