Jahrelang machte der Wirtschaftsdachverband mobil gegen die Ernährungs-Initiative sowie deren Gegenvorschläge. Nun, da die Volksabstimmung naht, enthält sich der Verband seiner Stimme – und hält den Entscheid unter dem Deckel.
Roger Braun
Die Kritik war gross, als Economiesuisse im Frühling beschloss, sich bei der Volksabstimmung zur Energiestrategie der Stimme zu enthalten. Der Wirtschaftsdachverband mache sich überflüssig, war in der Presse zu lesen. Die «Basler Zeitung» zeigte ein Bild von Verbandspräsident Heinz Karrer sowie Direktorin Monika Rühl und titelte: «Nichts mehr zu sagen.»
Was bisher unveröffentlicht blieb: In derselben Sitzung vom 13. März beschloss der Vorstand eine weitere Stimmenthaltung. Ohne dies mitzuteilen, entschied Economiesuisse, dass sie zum Gegenvorschlag zur Initiative «Für Ernährungssicherheit» ebenfalls keine Meinung hat. Das kommt einigermassen überraschend, hatte der Verband doch über Jahre gegen die Initiative und mögliche Gegenvorschläge lobbyiert. In der Frühlingssession noch hatte Economiesuisse die (bürgerlichen) Parlamentarier angeschrieben und zur Ablehnung des Gegenvorschlags aufgerufen.
Wieso nun plötzlich die Enthaltung? Ist Economiesuisse vor dem Bauernverband eingeknickt, weil er dessen Unterstützung bei anderen Vorlagen wie bei der Unternehmensbesteuerung braucht? Oliver Steimann von Economiesuisse verneint. Dem Wirtschaftsdachverband sei es in erster Linie darum gegangen, die Initiative zu verhindern, sagt der Mediensprecher. «So wie der Gegenvorschlag jetzt daherkommt, ändert er nichts an der aktuellen Agrarpolitik.» Aus wirtschaftspolitischer Sicht sei die Abstimmung deshalb irrelevant.
Das sehen nicht alle so entspannt. FDP-Nationalrat Peter Schilliger (LU) war einer der wenigen Parlamentarier, die im Parlament den Gegenvorschlag ablehnten. Für ihn verstösst der Verband damit gegen seine eigenen Grundsätze. «Economiesuisse steht für die ordnungspolitische Grundhaltung, dass Verfassung und Gesetz möglichst schlank zu halten sind», sagt er. «Es ist deshalb unverständlich, dass der Verband den Mut nicht aufbringt, hier Nein zu sagen.»
Überhaupt ist sich Schilliger nicht sicher, ob der Verfassungsartikel nicht doch noch plötzlich gesetzgeberische Aktivitäten auslöst. «Ich sehe heute schon die Bauern, die ihren Hof erweitern wollen und von den grünen Verbänden aufgrund des Kulturlandschutzes im Verfassungsartikel zurückgepfiffen werden», sagt er. Ein ähnliches Problem ortet FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen (BE). «Es ist nicht gut, dass das Kulturland einen höheren Verfassungsschutz geniesst als andere Landklassen», hält er fest. «Es ist auch falsch, einen Absatz zur Kreislaufwirtschaft in der Verfassung zu verankern.» Er sagt ebenfalls: «Economiesuisse sollte sich hier positionieren.»
Nicht alle Wirtschaftsverbände tun sich so schwer mit der Abstimmung vom 24. September. Der Gewerbeverband etwa sagt einstimmig Nein zum Gegenvorschlag. «Die Vorlage führt nicht nur gefährliche Elemente ein, sondern ist auch ein überflüssiges Produkt inakzeptabler Bürokratie», begründet Verbandsdirektor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler (ZH) die Parole.
Sonderbar mutet auch an, dass Economiesuisse die Stimmenthaltung nicht kommunizierte, obschon die Parole in derselben Sitzung gefasst wurde wie jene zur Energiestrategie. Versuchte der Verband damit, den Eindruck zu verwedeln, dass er gleich bei zwei Dossiers keine Meinung hat? Nein, sagt Steimann von Economiesuisse. Der Grund liege darin, dass die Stimmenthaltung ein Geschäft betroffen habe, das im Unterschied zur Energiestrategie weniger wichtig sei.