BERN. Firmen wollten Überwachungstechnik aus der Schweiz auch an Regime wie Turkmenistan exportieren. Nun reisst einigen der Geduldsfaden, weil die Bewilligung so lange dauert. Sie könnten aber auf andere Länder ausweichen.
Turkmenistan gilt als autokratisch regierter Staat mit totalitären Zügen. Das zentralasiatische Land zählt weltweit zu den grössten Unterdrückern der Pressefreiheit. Auch in solche Staaten wollten Firmen aus der Schweiz Überwachungstechnik exportieren. Beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco sind seit 2013 rund 15 Gesuche hängig. Nun kommt es zu einer überraschenden Wende: Laut Recherchen unserer Zeitung haben einige Unternehmen beim Seco die hängigen Exportgesuche zurückgezogen. Dies, weil ihnen dem Vernehmen nach der Bewilligungsprozess zu lange dauerte.
Zur Erinnerung: Die Gesuche sind beim Seco seit dem letzten Sommer blockiert, wie unsere Zeitung publik gemacht hatte. Seco-Sprecherin Marie Avet bestätigt, dass Firmen Exportgesuche für Überwachungstechnik zurückgezogen haben – darunter alle Gesuche für die Ausfuhr von Technologien zur Internetüberwachung. Dazu zählen etwa Trojaner: Geheimdienste können E-Mails mitlesen oder Telefonate via Skype mithören, weil die Produkte mit Updates auf Computern verdeckt Software installieren. Bern kommt damit um eine Art Grundsatzentscheid herum: Laut dem Seco handelte es sich für die Schweiz um die ersten Exportgesuche dieser Art.
Die verbleibenden Exportgesuche, etwa für Technologien zur Überwachung des Mobilfunks, bleiben hängig. Eine überdepartementale Arbeitsgruppe soll darüber entscheiden. Die Kontrolle des Exports von Überwachungstechnologie ist anspruchsvoller als jene des Waffenexports. Die legalen Technologien leisten im Kampf gegen die Kriminalität oder den Terrorismus wertvolle Dienste. Heikel ist die Ausfuhr aber, weil die Produkte zivil und militärisch verwendet werden können.
Seit den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden ist die Öffentlichkeit über das riesige Ausmass des Einsatzes solcher Technologien im Bilde. Doch nicht nur Demokratien wie die USA wollen ihre Bürger bespitzeln, sondern eben auch Regime wie Turkmenistan oder Oman, die laut übereinstimmenden Quellen über die Schweiz beliefert werden sollten. Denkbar ist, dass der Bund nun die Exportregeln verschärft, etwa wenn ein Land elementare Menschenrechte nicht einhält.
Die fraglichen Unternehmen sind an Verträge gebunden. Deshalb dürften sie nun versuchen, über andere Länder zu exportieren. Das Seco will keine Namen nennen. Gemäss mehreren Branchenquellen handelt es sich unter anderem um die deutsch-britische Firmengruppe Gamma, die seit 2013 bei Bern ein Büro hat. Laut Wikileaks-Dokumenten haben Gamma und die Berner Firma Dreamlab mit Turkmenistan und Oman Verträge unterzeichnet. Weder Gamma noch Dreamlab wollten sich äussern. Dreamlab hat aber klargestellt, dass die Zusammenarbeit mit Gamma beendet sei.
Gamma gerät international immer wieder in die Schlagzeilen. Zuletzt in den USA und in Grossbritannien, weil Äthiopien mit der Software politische Flüchtlinge ausspioniert haben soll. Laut der britischen Organisation Privacy International (siehe «Befragt») hat Gamma auch im Libanon oder in Malaysia Büros. Als Ausweichmöglichkeit dürften deshalb mehrere Länder in Frage kommen, zumal es für Software keine Fabriken braucht.
Auch auf internationaler Ebene sollen künftig strengere Regeln gelten. Im Dezember einigten sich westliche Regierungen im Rahmen der Wassenaar-Vereinbarung: Demnach soll der Export von Technologien für den Cyberkrieg ähnlich wie jener von Waffen reguliert werden. Die Schweiz dürfte für die fraglichen Firmen nun so oder so ein rotes Tuch sein. Hinter vorgehaltener Hand kritisieren mehrere Branchenvertreter das Seco. Für Unverständnis sorgt unter anderem, dass das Parlament zurzeit den Waffenexport wieder erleichtern will, während das Seco bei der Überwachungstechnik genauer hinschaue. Das Seco weist den Vorwurf zurück.