20 Eritreer müssen die Schweiz verlassen

Nach einer Überprüfung 250 vorläufig Aufgenommener müssten 20 Eritreer theoretisch ausreisen. Ausgeschafft werden können sie allerdings nicht. Die Flüchtlingshilfe beklagt eine absurde Praxis. Bürgerliche Politiker fordern noch mehr Härte.

Roger Braun
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Das Klima für Flüchtlinge aus Eritrea wird härter . (KEYSTONE/Ti-Press/Pablo Gianinazzi)

Das Klima für Flüchtlinge aus Eritrea wird härter . (KEYSTONE/Ti-Press/Pablo Gianinazzi)

Es ist die grösste Flüchtlingsgemeinde in der Schweiz: die Eritreer. Gegen 30000 Personen sind aus der Diktatur am Horn von Afrika in die Schweiz geflüchtet. Über 9500 davon hat die Schweiz vorläufig aufgenommen. Sie erfüllen zwar nicht die individuellen Flüchtlingseigenschaften; eine Rückkehr ist aber nicht zumutbar, weil die Menschenrechtslage in Eritrea schlecht ist. Sie dürfen bis auf Widerruf in der Schweiz bleiben, arbeiten und profitieren von Integrationsmassnahmen wie Sprachkursen.

Mit grosser Verunsicherung reagierte die eritreische Gemeinde, als das Staatssekretariat für Migration (SEM) im April bekanntgab, gut 3000 dieser vorläufigen Aufnahmen zu überprüfen. Nun zeigt sich: Die meisten werden in der Schweiz bleiben können. Bisher hat das Staatssekretariat den Aufenthaltsstatus von 250 Personen überprüft. Nur 20 Personen – respektive 9 Prozent – müssen die Schweiz verlassen, wie die Behörden gestern bekanntgaben. Mehr noch: Für die weiteren 2800 Personen, die das SEM bis Mitte 2019 überprüft, erwartet Staatssekretär Mario Gattiker eine noch tiefere Wegweisungsquote von rund vier Prozent, wie er an der Medienkonferenz sagte. Der Grund: Bei den 250 vorläufigen Aufnahmen ging es um Einzelpersonen, die ihre Dienstpflicht in Eritrea bereits erfüllt haben. Bei ihnen dürfte die Gefahr geringer sein, dass sie in Eritrea nach ihrer Rückkehr für ihre Flucht bestraft werden. Dementsprechend kann es die Schweiz eher riskieren, diese Personen in ihr Herkunftsland zurückzuschicken.

Bund durchleuchtet weitere 2800 Fälle

Bei der Beurteilung der einzelnen Fälle berücksichtigt das SEM sowohl die persönliche Lage des Betroffenen in der Schweiz als auch die Zumutbarkeit eines Lebens in Eritrea. Lebt jemand seit langen Jahren in der Schweiz, ist er gut integriert, hat Familie und einen tadellosen strafrechtlichen Leumund, ist die Chance gross, dass er oder sie bleiben kann. In Bezug auf die Lage in Eritrea prüft das SEM, ob in der jeweiligen Herkunftsregion der Zugang zu elementaren Gütern wie sauberem Wasser, Nahrungsmitteln und einer minimalen Gesundheitsversorgung gegeben ist. Ist das nicht der Fall, verzichten die Behörden auf eine Ausweisung.

Dass das SEM die vorläufigen Aufnahmen von über 3000 Eritreern überprüft, hängt mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zusammen. Im August 2017 hatte das Gericht festgehalten, dass die Rückkehr eritreischer Staatsangehörigen grundsätzlich zumutbar ist. Als Reaktion darauf verschärfte das SEM nicht nur seine Praxis bei neu ankommenden Eritreern, sondern beschloss auch den Status jener Eritreer zu überprüfen, welche die Schweiz vorläufig aufgenommen hat.

Wenig Freunde schafft sich die Bundesbehörde damit bei Menschenrechtsorganisationen. «Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich die Menschenrechtslage in Eritrea verbessert hat», sagt der Eritrea-Verantwortliche bei Amnesty International Schweiz, Reto Rufer. «Im Gegenteil: In den vergangenen Monaten wurden erneut Proteste niedergeschlagen und es kam zu Massenverhaftungen.» Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe sieht keine Entspannung in Eritrea. «Auf dieser wackligen Basis die vorläufige Aufnahme von Eritreerinnen und Eritreern aufzuheben, ist fahrlässig», sagt Peter Meier, Leiter der Asylpolitik der Flüchtlingshilfe.

Grossteil der Abgewiesenen taucht unter

Wie viele der 20 ausgewiesenen Eritreer tatsächlich zurückkehren werden, ist fraglich. Zwangsausschaffungen akzeptiert Eritrea nicht, die Schweiz ist also darauf angewiesen, dass die Ausgewiesenen freiwillig ausreisen. Das dürfte allerdings frommer Wunsch bleiben. Von 483 Personen, die per Ende Juli dieses Jahres einen Ausweisungsentscheid erhalten haben, sind lediglich 33 nach Eritrea zurückgekehrt. Der grosse Rest taucht unter – ob in der Schweiz oder in die Nachbarländer, ist unbekannt. Wer trotz fehlendem Aufenthaltsrecht in der Schweiz verbleibt, kann auf alle Fälle nicht mehr arbeiten und hat nur noch Anrecht auf Nothilfe – einen minimalen Anspruch auf Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung.

Die Flüchtlingshilfe sieht in der Praxis des SEM «reine Effekthascherei» zum Schaden der Eritreer in der Schweiz. «Solange sich die Zustände in Eritrea nicht nachhaltig verbessern und eine Rückkehr zulassen, sollte der Bund den Betroffenen den Einstieg in die Arbeitswelt erleichtern, statt sie in die Nothilfe abzudrängen und sich selbst zu überlassen», sagt Meier.

Bürgerliche sehen erfolgreiche Abschreckung

FDP-Ständerat Philipp Müller (AG) begrüsst hingegen die Überprüfung der vorläufigen Aufnahme. «Es ist wichtig, dass der finanzielle Anreiz wegfällt, um in der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen», sagt er. Er spricht von einem wichtigen Signal an Eritrea zur Abschreckung weiterer Flüchtlinge. Für ihn dürfte das SEM durchaus noch weitergehen. «20 Wegweisungen auf 250 Fälle erscheint mir sehr wenig. Zudem bin ich der Meinung, dass alle 9500 vorläufigen Aufnahmen überprüft werden sollen und nicht nur ein Drittel davon.»