Der Schweizer Pädagoge und Schriftsteller Jürg Jegge steht unter Missbrauchsverdacht: Ein Opfer hat am Dienstag an einer Pressekonferenz ein Enthüllungsbuch präsentiert. So soll Jegge den Buchautoren über Jahre sexuell und psychisch missbraucht haben.
Zu sagen, die Spannung sei gross gewesen, gleicht einer Untertreibung: Am Montag informierte der Wörterseh Verlag, an der Pressekonferenz vom Dienstag werde ein Enthüllungsbuch vorgestellt über eine prominente Person, das am Mittwoch in den Buchhandlungen liegen werde. Der Inhalt dieses Buches habe «eine Brisanz, die das ganze Land nicht nur interessieren, sondern auch erschüttern wird», so die Verantwortlichen in ihrer Medienmitteilung.
Die Person, um die es geht, ist Jürg Jegge(73). Das Buch heisst denn auch «Jürg Jegges dunkle Seite». Geschrieben vom Missbrauchsopfer Markus Zangger und dem renommierten Journalisten Hugo Stamm. Markus Zangger eröffnete die Pressekonferenz am Dienstag mit einem Geständnis: Er sei von seinem Primarlehrer Jürg Jegge über Jahre sexuell und psychisch misshandelt worden. Die Missbräuche durch Jegge haben bereits im Alter von 12 Jahren angefangen. Mit 27 Jahren habe Zangger dann den Mut gefunden, sich von Jegge zu lösen, wie er an der Pressekonferenz erzählt.
Jürg Jegge, geboren 1943 in Zürich, ist ein Schweizer Pädagoge – er gilt sogar als Musterpädagoge. Jegge war früher Primarlehrer und Leiter einer Sonderschule und Schriftsteller. Eines seiner bekanntesten Werke ist das 1976 erschienene Buch «Dummheit ist lernbar», welches sich bis heute 200'000 Mal verkauft hat. Noch letztes Jahr haben ihn die Medien anlässlich des Vierzig-Jahr-Jubiläums seines Longsellers als «Lehrer der Nation» gefeiert. Weiter war Jegge auch als Liedermacher, Fernsehmoderator und Radiomitarbeiter tätig.
Die Ironie wollte es wohl so, dass Jegge vor exakt zehn Tagen im Volkshaus in Zürich, wo auch die Pressekonferenz vom Dienstag, 4. April, stattfand, an einer Veranstaltung auftrat. Hugo Stamm betonte anhand dieses Beispiels, dass der mutmassliche Täter Jegge «bis heute wirke».
Nach Stamm ergriff Markus Zangger an der Pressekonferenz erneut das Wort und erzählte Details über die sexuellen Misshandlungen aus seiner Kindheit und Jugend. Angefangen habe es im Auto mit Jegge, bei Ausflügen aufs Land. Weiter sei es gegangen mit regelmässigen «Atemtherapien». Dabei habe sich zuerst Zangger Kleidungsstück für Kleidungsstück ausgezogen beziehungsweise ausziehen müssen. Danach habe sich auch Jegge ausgezogen. Doch Zangger wollte gar nicht allzu lange Einzelheiten ausführen. «Ich will gar nicht gross weiter erzählen, das wollen Sie gar nicht alles wissen.»
Stamm, der zwei Jahre eng mit Zangger zusammen am Buch gearbeitet hat: «Die Frage ist, wie immer: Wie ist die Beweislage?» Doch er, Stamm, habe seinen Ruf nicht einfach so aufs Spiel gesetzt. Zangger besitze verschiedene Briefe von Jegge, in denen teils Andeutungen, aber auch klare Aussagen über die «sexuellen Kontakte», wie es Jegge formuliert habe, zu finden seien.
Die Taten seien jedoch verjährt, das heisst, das Buch wird juristisch nicht relevant sein. Markus Zangger gehe es mit der Veröffentlichung seines Buches darum, den Betroffenen ähnlicher Übergriffe Mut zu machen, ihr Schweigen auch zu brechen. Zangger sagt: «Beim Schreiben des Buches habe ich realisiert – Wenn das Opfer redet, verliert der Täter seine Macht.»