Ihr erstes Kind ist bei der Geburt gestorben. Vera Rösch hat ein Buch geschrieben, das betroffenen Eltern beim Abschiednehmen hilft.
Die Tochter der Romanshornerin Vera Rösch war nur zweieinhalb Stunden auf der Welt. Die kleine Anna-Luise starb am 22. Oktober 2007. Dieses Datum wird Vera Rösch nie vergessen. Inzwischen ist die studierte katholische Theologin Mutter von drei weiteren Töchtern. Zur grossen Trauer kamen damals Schuldgefühle. Anna-Luise war ein gesundes Baby, das sterben musste, weil die Mutter am lebensbedrohenden Hellp-Syndrom erkrankt war.
Die Krankheit, bei der die roten Blutkörperchen zerfallen, die Leberwerte erhöht und die Blutplättchen vermindert sind, gilt als schwerste Form der Gestosen, wie schwangerschaftsbedingte Krankheiten heissen. Eine von 150 bis 300 Frauen ist im europäischen Durchschnitt mit dieser Diagnose konfrontiert (www.gestose-frauen.ch). Für die Pharmaforschung reichen diese Zahlen bisher aber nicht, um nach einem Medikament gegen dieses Syndrom zu forschen.
Es ist eines der schlimmsten Ereignisse, das Eltern zustossen kann. Das eigene Kind bei der Geburt oder kurz danach sterben zu sehen. Dieses Schicksal traf Ende Oktober auch den Thurgauer Unternehmer und SVP-Politiker Peter Spuhler und seine Frau. Die beiden verloren ihren Sohn Laurin Urs, der nicht einmal zwei Monate alt wurde. Statistisch gesehen sterben 4,3 von tausend Kindern in den ersten anderthalb Lebensjahren, sieben von tausend Babies überleben in der Schweiz die erste Woche nach der Geburt nicht. 2013 gab es hierzulande rund 400 Totgeburten.
Die nächste Schwangerschaft nach Anna-Luise war für Vera Rösch sehr angstbesetzt. Denn die Gefahr, erneut an einem Hellp-Syndrom zu erkranken, liegt bei 30 bis 40 Prozent. «Nach der zweiten Geburt kam meine Trauer noch einmal stark hoch», erzählt sie. Ihr Umfeld habe oft mit dem Satz reagiert: «Jetzt ist doch alles wieder in Ordnung.» Doch so einfach ist es nicht, die Trauer um ein verlorenes Baby einfach abzustreifen.
Das Buch «Verbunden für immer. Das Erinnerungsbuch für Eltern, die um ihr Baby trauern» hat die heute 39jährige Vera Rösch während ihrer vierten Schwangerschaft geschrieben. «Für mich war das Buch eine Möglichkeit, Ausdruck für meine Trauer zu finden. Aber ich habe damit auch etwas sehr Intimes publik gemacht.» Das Buch enthält Gedichte und literarische Gedanken sowie Reflexionen der Autorin rund um das Sterben von Kindern. Und es bietet Platz, eigene Emotionen selbst in Worte zu fassen. Es leitet behutsam an bei der Suche nach dem eigenen kreativen Umgang mit der Trauer. Vera Rösch sieht das Erinnerungsbuch als eine Art geschützten Rahmen für die eigene Trauer und Ohnmacht: «Jeder Verlust eines Kindes ist anders, und die Verarbeitung eines solchen Schicksalsschlags ist eine lebenslange Aufgabe.»
In unserer Gesellschaft sei das Thema von Fehl- und Totgeburt nicht relevant und immer noch tabuisiert, sagt die Autorin, die am Münchner Institut für Trauerpädagogik eine Ausbildung als Trauerbegleiterin absolviert. «Trauer sollte bearbeitet werden, sonst läuft sie Gefahr pathologisch zu werden», sagt Vera Rösch. Ihre nach der Geburt verstorbene Tochter liegt mit ihren Urgrosseltern in Oberschwaben begraben. Anna-Luises Geburtstag wird stets gefeiert. Bei Röschs gibt es daheim eine Erinnerungsecke mit einem Bild, einer Taufkerze, kleinen Engeln und Geschenken. Kleine Rituale erinnern an das erste der vier Kinder.
«Das ist das Schlimmste, was mir zustossen konnte, und jetzt geschieht es. Dort hinter mir stirbt jetzt unser Kind. Gleich ist sie für immer fort. Ich wusste es, aber ich fühlte es nicht. Ich fühlte gar nichts mehr. Ein Stein war ich geworden.» Das sind Zeilen von P. F. Thomése, die in Vera Röschs Buch zitiert sind. Das Bändchen enthält feinfühlige Anleitungen, wie der Abschied von verstorbenen Babies, die auch Engel- oder Sternenkinder genannt werden, gestaltet werden kann. Trauer braucht Raum, braucht einen Ort und einen Rahmen. Und es braucht Mut, sie zuzulassen, zu ihr zu stehen.
Vera Rösch ermutigt zur Trauer, zu ihrer Integration ins weitere Leben, und zeigt in ihrem Buch, wie die Schritte zurück in die Normalität gelingen können. «Es gibt keine Antwort. Es wird keine Antwort geben. Es hat nie eine Antwort gegeben. Das ist die Antwort», schreibt Gertrude Stein in ihrem Gedicht «Leere». «Ich habe keine Antwort», sagt auch Vera Rösch. Als gläubige Christin sagt sie aber auch: «Ich hoffe, dereinst eine Antwort zu bekommen.»
Vera Rösch, Verbunden für immer. 44 Seiten. Schwabenverlag Ostfildern, Fr. 31.90.