THEATER: Ewig im falschen Kostüm

Eva ist eine Frau, doch sie steckt im Körper eine s Mannes. Das Stück «Fremdkörper» nimmt sich des ­heiklen Themas Transgender an. Eveline Ketterer zeigt einfühlsam die Zerrissenheit einer Transfrau.

Mirjam Bächtold
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«Das Herz ist nur ein Organ. Der ganze Körper besteht nur aus Organen. Aber machen sie uns aus?», sagt Eva (Eveline Ketterer). (Bild: Urs Bucher)

«Das Herz ist nur ein Organ. Der ganze Körper besteht nur aus Organen. Aber machen sie uns aus?», sagt Eva (Eveline Ketterer). (Bild: Urs Bucher)

Mirjam Bächtold

ostschweizerkultur

@tagblatt.ch

Ein Penis ist das Einzige, was ­zwischen Eva und ihren wahren Gefühlen steht. Denn Eva ist ein Mann. Oder doch eine Frau? Sie oder er ist hin- und hergerissen, innerlich gespalten, als hätte sie zwei Persönlichkeiten. Eva ist eine Frau, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Sie befindet sich in einem Raum, will raus, doch jede Tür knallt ihr ­lautstark vor der Nase zu. Sie ist gefangen – nicht nur im Raum, im eigenen Körper. Verzweifelt streicht sie sich über den Körper, der der falsche ist, als würde sie ihn am liebsten wegstreichen. Mit dieser Pantomime steigt die Schauspielerin Eveline Ketterer ins Stück von Autor und Regisseur Dietmar Paul ein. Am Freitag war Premiere im St. Galler Theater 111.

Im Zwiegespräch mit beiden Ichs

Eva befindet sich in Delhi in Indien in einem Spital. Dort wartet sie auf die Operation, die sie end­gültig zur Frau machen und M., ihr altes Ich, auslöschen wird. Hier gerät sie in ein Zwiegespräch mit M., erzählt in Rückblenden, wie M. darunter litt, anders zu sein, nicht normal zu sein. Mit unterschiedlichen Stimmlagen wechselt Eveline Ketterer zwischen den zwei Ichs einer Person hin und her. Während im ersten Teil M. spürbarer und greifbarer ist, nimmt Eva im Verlauf des Abends langsam überhand. M. erzählt von der schlimmen Kindheit, vom Hänseln der anderen, die ihn als «Memme» beschimpften. Er erzählt, wie er um jeden Preis versucht hat, männlich zu sein, um Eva zu schützen. Bis die ­Fassade immer mehr bröckelte. Er erzählt, dass er sich verkleidet vorkam, wenn er sich so kleidete, wie er sich fühlte. «Ein ewiger ­Fasching in einem Kostüm, das von Mal zu Mal enger wird und das man niemals ablegen kann», ergänzt Eva.

Von der Raupe zum Schmetterling

Es ist eine enorme Leistung, die Eveline Ketterer allein auf der Bühne vollbringt. Nur mit einem langen Männerhemd und Socken bekleidet, wechselt sie gekonnt zwischen den beiden Ichs. Einfühlsam zeigt sie, wie sie beinahe an den Erwartungen der Gesellschaft zerbrochen wäre.

Das Zwiegespräch wird immer wieder durch eindrückliche Pantomimen unterbrochen. Etwa wenn sie den Männermantel zu Boden legt und dann ein Zug darüber rast. Oder wenn sie am ­Boden liegt, zugedeckt mit dem Mantel, dazu die Herzfrequenz, wie sie in einem Spital zu hören ist. Dann steht sie auf und tanzt wie ein Roboter durch den Raum, das Gesicht wie eine starre Maske zu einem Grinsen verzerrt. Der Männerkörper war nur eine Uniform, nur eine Hülle, leblos wie ein Roboter. Und schliesslich wirkt sie glücklich und befreit, geht mit weiblichem Hüftschwung über die Bühne und posiert als Frau mit Kussmund.

Der aus Berlin stammende Autor und Regisseur Dietmar Paul will mit seinem Stück für ein Thema sensibilisieren, das in der Gesellschaft noch ein zu grosses Tabu ist. «Ich wollte aufzeigen, wie sich Transmenschen fühlen, was sie auf ihrem Weg alles durchleben», sagt er. Für die Recherche hat er mit mehreren Transfrauen gesprochen. «Für viele ist es eine schizophrene Situation. Die innere Zerrissenheit und die Frage: Wie weit bestimmen mich meine Gefühle und wie weit der Blick von aussen?» Diese Zerrissenheit hat er als Stilmittel mit dem fast schon schizophren wirkenden Zwiegespräch dargestellt. «Ausserdem brauchten wir eine Textform, die den inneren Konflikt gut darstellt. Das ermöglichte der Dialog besser als der Monolog.»

Die Schauspielerin Eveline Ketterer wusste nur wenig über Menschen mit einem transidenten Hintergrund. «Für mich waren Eva und M. nie zwei unterschiedliche Rollen. Es ist wie eine Metamorphose, wie wenn die Raupe zum Schmetterling wird.»

Hinweis

Weitere Vorstellungen: 30.3., 4./5.5.: Theater 111, St. Gallen; 25.4.: Eisenwerk, Frauenfeld; 27.4.: Tanzraum, Herisau; jeweils 20 Uhr.