Autos Lassen wir uns von teurem Blech beeindrucken? Ein Test gibt Aufschluss über die Ausstrahlung von Autos und das Benehmen ihrer Fahrer. Einige Klischees treffen deutlich ins Schwarze. Andréas Härry
Im Stau sind alle gleich: ob der Fahrer einer Rostlaube oder die Frau hinter dem Steuer des protzigen Geländefahrzeuges ihres Göttergatten. Die heutigen Verkehrsverhältnisse haben das gesamte PS-Gefälle auf den Strassen glattgebügelt – zumindest bei den Fahrzeiten. Ob Porsche oder Kia: Halten sich beide an das Strassenverkehrsgesetz, ist keiner von beiden früher zu Hause.
Trotzdem ist teures, starkes und damit schnelles Blech sehr begehrt. Die früher Geländewagen genannten, hoch aufbauenden Autos lupfen ihre Besatzung ein paar psychologisch wichtige Zentimeter über die restlichen Strassenbenutzer. Die kräftig ausgestalteten Kühlergrills sollen Respekt verschaffen. Auf ähnliche Reflexe bauen Sportwagen, deren zahlreiche und dicke Auspuffrohre bildlich zeigen, dass sie jeden wegblasen könnten, wenn sie denn wollten. Grimmige Frontpartien mit schmalen Scheinwerfern geben dem Vorausfahrenden klare Signale: Weg da, sonst…
Doch spielt diese automobile Psychologie auch wirklich in der Praxis? Wir wollten es genauer wissen und wagten einen Test. Die Anordnung: In einer Vorortsgemeinde mündet eine wenig befahrene Strasse in eine Hauptverkehrsader, gesichert durch ein Lichtsignal. Die Testperson wartet dort mit Fahrzeugen verschiedener Kategorien, vom alten Lieferwagen bis zum schnittigen Sportwagen, auf Grün. Leuchtet die Lampe auf, macht der Tester keinen Wank, sondern aktiviert eine Stoppuhr und wartet… Genau so lange, bis es hinten reagiert, sprich eine Hupe ertönt. Dann wird sofort losgefahren. Relevant ist die Zeit, die vergeht, bis den Anstehenden der Kragen platzt.
Erstes Fazit: Diese Zeit variiert beträchtlich, je nachdem, was für ein Fahrzeug an der Ampel den Weg versperrt. Grundsätzlich gilt: Je «mächtiger», teurer und schneller der Blockierer ist, je länger dauert es, bis er «geweckt» wird. Und umgekehrt: Je grösser das automobile Gefälle von hinten nach vorn ist, desto schneller wird gehupt. Auch die Art und Weise des Hupens kann in direkte Relation zu den involvierten Autokategorien gebracht werden.
Zwei Extrembeispiele: Am Lichtsignal wartet ein 15jähriger VW-Lieferwagen mit deutlichen, braunen Zeitspuren am Heck. Hinten schliesst ein mächtiges, schwarzes Prollfahrzeug einer Marke mit vier Ringen im Logo und den erwähnten Rohren am Heck auf. Die Ampel schaltet auf Grün. Es vergeht eine Sekunde, da tönt es von hinten, wie wenn das Kreuzfahrtschiff Queen Mary II den Hafen von Southampton verlässt. Selbst als der Lieferwagenfahrer seine wenigen PS auf die Achsen loslässt, wird von hinten noch «nachgehupt», wohl der Nachhaltigkeit wegen.
Das Gegenteil: Vorne steht ein Respekt einflössendes, 560 PS starkes BMW-Cabrio. Auch hier: dicke Endrohre. Hinten stellt sich ein Fiat Panda an, der seine besten Tage hinter sich hat. Grün. Nichts passiert. Unendliche Sekunden vergehen. Der Sportwagenfahrer wagt einen Blick in den Rückspiegel. Nett lächelt der Fiat-Fahrer nach vorne. Totenstille. Das Lichtsignal geht auf Gelb, dann Rot. So viel Zurückhaltung muss erforscht werden: Der Tester steigt aus und fragt den netten Herrn im Panda, warum er nichts unternommen habe. «Wenn man solche Autos anhupt, sieht man oft ganz wüste Fingerzeige», gibt der ältere Fahrer zu Protokoll.
Natürlich gibt es alle Zwischenvarianten: An der Ampel steht ein Mercedes-Coupé für 136 000 Franken. Dahinter folgt ein weiblich besetzter Hyundai der unteren Mittelklasse. Das Spiel beginnt. Nach fünf Sekunden getraut sich die Fahrerin, ein kurzes «Tüt» nach vorne zu schicken, und zeigt eine verunsicherte Ungeduld im Gesicht. Eine Stunde später steht der Mercedes wieder am Signal, hinten folgt diesmal ein Markenkollege, der aber noch mehr Geld fürs Auto investierte und mindestens 100 PS Vorsprung hat. Etwas mehr als eine Sekunde vergeht, da erklingt die Doppelhornfanfare in epischer Länge, effektvoll ergänzt mit Lichthupe. Der vorne Ankernde könnte ja eventuell taubstumm sein.
Die Versuche dauerten sechs Monate und stellen fest: Je teurer das Auto vorne, desto länger wird hinten mit dem Schlag aufs Lenkrad gewartet (siehe Tabelle).