Schmerzen brechen

Am Kantonsspital St. Gallen wurde im Schmerzzentrum der weltweit erste wieder aufladbare Rückenmarkstimulator mit einer neuen Methode implantiert.

Bruno Knellwolf
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Der Stimulator und die Plattenelektroden werden implantiert, um den Schmerz zu unterbrechen. (Bild: St. Jude Medical)

Der Stimulator und die Plattenelektroden werden implantiert, um den Schmerz zu unterbrechen. (Bild: St. Jude Medical)

Dauernde Schmerzen – ein Horror. Mit solchermassen geplagten Menschen hat Petra Hoederath im Schmerzzentrum des Kantonsspitals St. Gallen täglich zu tun. Schmerz ist ein weit umfassender Begriff, dementsprechend arbeiten in einem Schmerzzentrum wie diesem viele verschiedene Fachleute von der Anästhesiologie, der Neurochirurgie, der Palliativmedizin bis zur Psychosomatik. So verschieden sind auch die Wege, um Schmerzen zu lindern. Neben Ärzten wie Petra Hoederath sind auch Physio- und Ergotherapeuten am Werk.

Jeder fünfte Erwachsene

Die Arbeit wird allen nicht ausgehen. Weltweit leiden 1,5 Milliarden Menschen an chronischen Schmerzen, in Europa ist jeder fünfte Erwachsene betroffen. Chronisch gilt ein Schmerz übrigens, wenn er drei Monate oder länger anhält. Seit 2002 arbeitet die Neurochirurgin Hoederath im Schmerzzentrum und hat dementsprechend schon viele chronische Schmerzpatienten gesehen. Sie hilft diesen unter anderem mit Rückenmarkstimulationen. «Wir setzen das ein für Patienten mit Nervenschmerzen. Solche, die vom Rücken in die Beine ausstrahlen oder vom Nacken in die Arme. Dann auch gegen gewisse Arten von Kopfschmerzen und komplex regionale Schmerzsyndrome, CRPS genannt. Dazu kommen noch Durchblutungsstörungen, koronare Herzkrankheiten. Sowie Erkrankungen der Nerven durch Diabetes oder Vitaminmangel.» Rückenmarkstimulationen werden schon seit vier Jahrzehnten angewandt. Neurochirurgen sprechen von «Spinal Cord Stimulation», SCS, oder Epiduraler Rückenmarkstimulation. Ziel dieser Stimulation ist es, die Übertragung der Schmerzsignale aus den Armen, Beinen oder dem Rumpf ins Gehirn zu unterbrechen oder zu überdecken. Das gelingt, indem ein kleines Gerät in den Körper – so wie ein Herzschrittmacher – implantiert wird. Dieses Gerät leitet Strom durch dünne, entlang des Rückenmarks plazierte Elektroden. Es gibt elektrische Impulse ab, welche die chronischen Schmerzsignale unterbrechen.

Die Therapie ist nicht neu. Doch das neurochirurgische Team um Petra Hoederath, Cem Yetimoglu, Raoul Heilbronner, Heiko Dreeskamp und Sybille Holderegger hat weltweit das erste komplett MRI-taugliche wieder aufladbare Rückenmark-Stimulationssystem mit sogenannter Burst-Stimulation eingesetzt. Damit ist es auch möglich, den Patienten mit einer Magnetresonanztomographie MRI zu untersuchen. «Patienten, die mit einer älteren Methode behandelt wurden, dürfen nicht ins MRI», sagt Hoederath.

Der erste Patient

Als erster hat ein 39jähriger Schmerzpatient von der modernen Rückenmarkstimulation profitiert, der sich nach einer wöchigen Testphase zufrieden gezeigt hat. Seine Schmerzen konnten stark reduziert werden. «Im Minimum muss bei einer Rückenmarkstimulation eine 50prozentige Schmerzreduktion erreicht werden», erklärt Hoederath. «Das funktioniert nur bei ganz wenigen nicht.»

Neben der nun angewandten Burst-Stimulation gibt es auch weiterhin die Tonische Stimulation. Bei dieser Stimulationsmethode hat die elektrische Energie, welche das implantierte Gerät abgibt, eine niederere Frequenz als bei der Burst-Stimulation. Die Patienten nehmen diese Stromimpulse als Kribbeln wahr. Die Tonische Stimulation wirkt zwar bei etwa 77 Prozent aller Patienten, trotz diesem guten Resultat wurde nach einer anderen Methode gesucht.

Therapie ohne Kribbeln

Bei der nun neu angewandten Burst- und Hochfrequenz-Stimulation werden die elektrischen Impulse stossweise an das Rückenmark abgegeben, um die Schmerzen zu lindern. Diese Therapie löst kein Kribbeln mehr aus und soll vor allem auch jenen helfen, denen die Tonische Stimulation zu wenig bringt. Vielleicht weil sie sich zu stark daran gewöhnt haben. Gerade für die Behandlung komplexer Rückenschmerzen eigne sich die Burst- oder Hochfrequenz-Stimulation bestens.

In der Hand hält Petra Hoederath Kabel und Plattenelektroden, die einem Patienten auf die Haut des Rückenmarks gelegt werden, sowie den Impulsgeber mit Batterie, die ebenfalls in den Körper des Patienten gelangen. Dieser Eingriff steht nicht an erster Stelle, der Patient wird in jedem Fall individuell von einem Team abgeklärt, um zu sehen, ob er sich für dieses 30 000 bis 40 000 Franken teure System der Rückenmarkstimulation eignet. «Früher wurde erst implantiert, wenn die anderen Therapien ausgeschöpft waren. Das sehe ich nicht so. Wenn ich jemanden im Spital habe, der zehn Jahre an stechenden Schmerzen im Bein hat leiden müssen, haben sich diese Schmerzen eventuell zentralisiert.»

Generell nehme die Zahl der Rückenmarkstimulationen zu. «Wir machen 10 bis 15 dieser SCS-Stimulationen pro Jahr», sagt Petra Hoederath. Daneben gibt es noch die sogenannte «Pumpen-Therapie» gegen chronische Schmerzen, bei der stetig und fein dosiert Medikamente in den Körper gepumpt werden. Die Medikamentenpumpe wird dabei ebenfalls in den Körper implantiert. «Früher sagte man die Pumpen sind gegen Rückenschmerzen, die Rückenmarkstimulationen gegen Ausstrahlungen. Das hat sich nun mit der neuen Stimulationstechnik geändert.»

Spastik und Paraplegiker

Weiter geforscht wird an der Grösse des Stimulators, den Batterien wie auch den Elektroden, die, wie alles im Digitalen Bereich, schneller und kleiner werden. Behandelt werden auch Querschnittgelähmte, die dadurch eine bessere Rumpfstabilität erhalten. «Ein Thema ist auch, die Stimulation gegen Spastik einzusetzen», sagt die Neurochirurgin. Ebenfalls wird daran gearbeitet, die Programmierung der Geräte über grosse Distanzen zu ermöglichen. «Die Stimulation hat noch grosses Potenzial», sagt Hoederath.

Ein Rückenmarkstimulator. (Bild: pd)

Ein Rückenmarkstimulator. (Bild: pd)

Petra Hoederath Oberärztin, Neurochirurgie Kantonsspital St. Gallen (Bild: pd)

Petra Hoederath Oberärztin, Neurochirurgie Kantonsspital St. Gallen (Bild: pd)