So konsequent dunkel und dezidiert politisch wie auf ihrem neuen Album klangen die britischen Megastars von Depeche Mode noch nie. Die neue Platte soll weniger zum Tanzen, denn zum Denken bewegen.
Interview: Steffen Rüth
focus
So düster, bedrohlich und hoffnungslos wie auf ihrem vierzehnten Studioalbum «Spirit» klangen Dave Gahan (54), Martin Gore (55) und Andy Fletcher (55) wohl noch nie in ihrer mehr als 35 Jahre währenden Weltkarriere. Und so packend auch schon lange nicht mehr. Wir sprachen mit Sänger Gahan und Multi-Instrumentalist Gore in New York.
Martin Gore, veröffentlichen Sie nun das pessimistischste Depeche-Mode-Album aller Zeiten?
Martin Gore: Das Wort pessimistisch kann ich nicht so gut leiden. Ich mag den Begriff realistisch lieber. Wir sprechen die Dinge so an, wie sie sind. Falls das ein bisschen deprimierend rüberkommt, dann tut es mir leid.
Sie singen auf «Eternal» selbst. Der Song handelt von ihrer kleinen Tochter Johnnie Lee und einem Atomkrieg, eine happige Kombination?
Gore: Ich denke, wenn du in der heutigen Zeit ein Kind in die Welt setzt, dann musst du immer mit dem Schlimmsten rechnen. Es gibt diese allgegenwärtige Gefahr von allem, Atomkrieg inklusive. Wir haben seit einigen Monaten einen verrückten Mann im grössten und wichtigsten Amt der Welt.
Die Grundstimmung auf «Spirit» ist dunkel, traurig und wütend. Ist das Album ein Ausdruck von Sorge und Wut angesichts der Entwicklungen auf der Welt?
Dave Gahan: Ja, alles das trifft zu. Vor allem verspüre ich Frust und auch Verunsicherung. Wo soll es hingehen? Wem sollen wir glauben? Wem folgen? Man kann schon sehr sarkastisch werden. Es ist kaum möglich, nicht betroffen zu sein von allem, was du im Fernsehen siehst und was du liest.
Das Album beginnt mit drei Songs mit explizit politischem Inhalt. Was hat Sie dazu bewogen? Der Brexit? Trump?
Gore: Das Album war schon fertig, als Trump an die Macht kam und schon geschrieben, als die Briten für den Brexit stimmten. Wir haben einiges von unserem menschlichen Geist verloren, wir haben einige wirklich schlechte Entscheidungen getroffen in den vergangenen Jahren, die ich nur schwer verkraften kann.
Andy Fletcher lebt in London, Dave Gahan in Manhattan, Martin Gore in Santa Barbara. Es ist wohl kein Zufall, dass…
Gahan: …wir uns alle drei in liberalen Enklaven niedergelassen haben? Dort leben wir sehr gern und sehr gut. Wir sind gesegnet, haben Möglichkeiten im Überfluss, aber das heisst nicht, dass wir uns nicht für das interessieren, was um uns herum passiert.
Allerdings: Wer «Spirit» gehört hat, der macht sich danach noch mehr Sorgen um die Welt als vorher.
Gore: Ja. Das soll er auch! Denn die Sorgen sind berechtigt. Für mich war eine der wesentlichen Intentionen mit dem Album, die Leute zum Denken zu bewegen.
Warten Sie auf einen Aufstand?
Gore: So einen polarisierenden Machthaber wie Trump habe ich in einer Demokratie noch nicht erlebt. Er macht eine Politik, die von vernünftigen Leuten schlicht für Wahnsinn gehalten wird. Und über den Brexit hätte man niemals eine solche Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit machen dürfen. Das war ein gigantischer Fehler. Am Ende ging es ja fast 50:50 aus. Die meisten Leute wussten ohnehin nicht, was sie da zu entscheiden hatten. Ich bin kein Befürworter von Waffengewalt und Blutvergiessen, aber mit so einer polarisierenden Figur an der Spitze, und in der Mitte komplett gespaltenen Ländern, kann es zu einem Punkt kommen, an dem es sehr viel Unruhe gibt.
Ist «The Worst Crime» ein Ausblick auf ein solches Szenario?
Nicht direkt. Das komplette Album, ist eher ein Aufruf, uns zusammenzuraufen und auf unseren Weg zurückkehren. Ich will nicht, dass die neue Platte zu depressiv wirkt, sie soll auch kämpferisch sein. Und hier und da mit einem Augenzwinkern.
Etwa im Video zur Single «Where’s The Revolution», in dem sie unter anderem Marxisten mit langen Bärten darstellen.
Gore: Ja, es gibt schon mehr Humor als auf den ersten Blick sichtbar. Das Video zu drehen, hat wirklich Spass gemacht, insbesondere diesen Karl-Marx-Teil.
Im Sommer starten Sie eine riesige Tournee, für die Sie schon über eine Million Tickets verkauft haben, ohne dass das Album veröffentlicht ist. Überrascht Sie dieser Er- folg noch?
Gahan: Du musst dich immer wieder neu bewerben und behaupten. Selbstverständlich ist nichts. Natürlich ist ein Vertrauensvorschuss schön, aber die Qualität des Albums sollte dieses Vertrauen unterfüttern und bestätigen. Sonst sind die Leute enttäuscht – auch von uns.
Dave Gahan, Sie sind nach Drogenexzessen, Herzstillstand und Blasenkrebs inzwischen ein gesund lebender, durchtrainierter Mann. Wie schwer fällt es Ihnen, solch abgründige Songtexte wie jenen zu «Poison Heart» zu schreiben?
Ich kann es nicht genau sagen. Ich weiss nur: Manchmal muss ich «Dark Dave» rauslassen. Sonst würde er mich auffressen. Glücklicherweise kann ich heute reinschlüpfen und rausschlüpfen aus diesem Charakter. Ich bin nicht mehr auf der dunklen Seite gefangen so wie früher.
Im letzten Song «Fail» singen Sie «Oh, we are fucked».
Gahan: Für mich ist das schlüssig. Wir sind am Ende und machen trotzdem weiter.
Gore: Das kleine bisschen Hoffnung ist die schöne Instrumentalmusik nach der letzten Zeile.