Im Refugium der Modemacherin

Die Zürcherin Ida Gut zählt zu den erfolgreichsten Modedesignerinnen der Schweiz. Neben ihrer eigenen Linie gestaltet sie die Berufskleider für die Migros. Vom Rummel erholt sich die 52-Jährige in ihrem Appenzeller Bauernhaus.

Melissa Müller
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Nach der Arbeit im Atelier durch den Wald streifen: Die Zürcher Modemacherin Ida Gut tankt in der Appenzeller Natur auf. (Bild: Michel Canonica)

Nach der Arbeit im Atelier durch den Wald streifen: Die Zürcher Modemacherin Ida Gut tankt in der Appenzeller Natur auf. (Bild: Michel Canonica)

APPENZELL. Plötzlich steht sie da. Wie aus dem Nichts. Von einem Windstoss herangeweht: die Zürcher Modeschöpferin Ida Gut. Wir treffen die 52-Jährige am Bahnhof in Appenzell. Sie besitzt in der Nähe ein Bauernhaus, in dem sie sich vom Moderummel erholt. «Hier ist mein Boden, hier sind meine Wurzeln», sagt die Tochter einer Appenzellerin.

Eigentlich hatten wir uns zum Wandern verabredet. Selber kommt man in der Wanderkluft daher, in abgelatschten Wanderschuhen und im ausgebeulten Jäcklein. Die Designerin dagegen ist von Kopf bis Fuss gestylt: Mit hohen Schuhen, schwarzen Dreiviertelhosen, futuristischem Mantel, darunter mehrere Oberteile in Grau, Silber und Sumpfgrün. «Keine Sorge, ich habe Wanderschuhe dabei», sagt sie und lächelt unter ihrer Schiebermütze hervor. Um ihre Hüfte hängt eine crèmefarbene Beuteltasche, die an die Werkzeugtaschen der Handwerker erinnert, zugleich aber exklusiv und feminin wirkt. Typisch für Guts Kreationen, die eine schlichte Ästhetik aufweisen.

Ida Gut ist eine der bekanntesten Modedesignerinnen der Schweiz und gelernte Schneiderin. Sie verbindet Handwerk mit innovativen Materialien und Komfort. Ihre Kleider lässt sie in verschiedenen Betrieben der Schweiz sowie in Wangen im Allgäu produzieren. Sie leitet in ihrem Atelier ein Team aus sieben Mitarbeitenden und führt an der Zürcher Ankerstrasse einen Laden mit Eigenkreationen. Eine Hose kostet 300 bis 400 Franken. Dafür sollen die Teile besonders langlebig sein. «Wir ersetzen jeden Reissverschluss kostenlos.»

Karriere statt Kind

Neben ihrer eigenen Modelinie entwickelt sie auch Bekleidungskonzepte für Firmen. Für eine Hotelkette hat sie Uniformen mit Elementen der Appenzeller Tracht entworfen. 2004 gestaltete sie die Berufskleider der Migros. Zurzeit arbeitet sie am neuen Erscheinungsbild für 40 000 Migros-Angestellte, das 2017 eingeführt wird. «Sie wird nicht mehr paprikafarben, aber weiterhin sportive Elemente haben», verrät die Geschäftsfrau. Ida Gut macht keine halben Sachen. Das merkt man, wenn sie über Schnitte redet und Stoffe befühlt. Von der Doppelbelastung Beruf und Familie hat sie abgesehen. «Wenn schon Kinder, dann hätte ich nicht bloss eins gewollt, sondern eine ganze Rasselbande. Und das wäre ein ganz anderes Leben.»

In ihrem Alltag steht sie oft unter Adrenalin und Termindruck. Schon früh merkte sie, dass sie einen Ausgleich braucht. Einen Ort, an dem sie sich aus der Modewelt ausklinken kann. Erst unternahm sie mit ihrem Partner, einem Buchhändler und Verleger, kleine Wochenendfluchten. Dann aber verspürte sie den Wunsch, ihren Ostschweizer Wurzeln nachzugehen – ihre Grosseltern stammen aus Herisau. Am Gerenberg bei Appenzell fand Gut vor zehn Jahren ihr «Hämetli», ein kleines Bauernhaus an einem mit Buchen bewachsenen Südhang. «Es gibt nichts Besseres, als morgens aufzuwachen und mit dem ersten Kaffee auf das Appenzeller Panorama zu blicken.» Erst dachte sie, dass diese Anfangseuphorie für das Appenzellerland wieder verfliegen könnte. Doch die Begeisterung blieb, ähnlich einer Verliebtheit, die sich in Liebe verwandelt. Sie hat sich nie als «Auswärtige» gefühlt und mag den Menschenschlag. Streift über Appenzeller Hügel, Bergrücken und steile Tobel und geniesst die Stille. Watet in Gummistiefeln durch Bäche und geht auf dem Hirschberg auf Pilzsuche. Da kennt sie sich aus: Schon als Kind ging das jüngste von fünf Geschwistern mit der ganzen Familie Pilze sammeln. Die Lehrerstochter wuchs in bescheidenen Verhältnissen im Zürcher Unterland auf, an der Klotener Flugschneise.

Vom Glück des Pilzsuchens

Vor ihrem Bauernhaus findet Ida Gut den Reizker, einen orangen Pilz, aus dem sie mit Weisswein eine Suppe zubereitet. «Das Suchen und Finden von Pilzen ist für mich ähnlich, wie bei einem raffinierten Schnitt eine gute Linie gefunden zu haben», sagt die Kreative, die das einfache Leben voller Intensität wahrnimmt. Ida Gut macht kein Yoga. Lieber geht sie «püschelen», das heisst, sie sammelt Holz, um den Kachelofen anzufeuern. «Das ist genauso meditativ.» Beim Reden mischt sich ein weicher Appenzeller Slang in ihren Züri-Dialekt. Sie mag Ausdrücke wie «Sonnwendlig» – appenzellisch für Löwenzahn – und «Hungsüglig» – roter Klee. «Wäre ich nicht Modedesignerin geworden, wäre ich vermutlich Bergwatschelentenbeobachterin geworden.» Jeden Sonntag und Montag zieht sie sich mit ihrem Partner in Appenzell zurück. «Sonst bekomme ich Heimweh.»

Ida Guts persönliches Lieblingsstück aus ihrer neuen Linie: Eine eng anliegende Jacke aus japanischem Kunstleder, die sich wie eine zweite Haut anfühlt. (Bild: Franz Rindlisbacher)

Ida Guts persönliches Lieblingsstück aus ihrer neuen Linie: Eine eng anliegende Jacke aus japanischem Kunstleder, die sich wie eine zweite Haut anfühlt. (Bild: Franz Rindlisbacher)

Die weisse Jacke besteht aus wind- und wasserfestem Cashmerelaminat. (Bilder: Franz Rindlisbacher)

Die weisse Jacke besteht aus wind- und wasserfestem Cashmerelaminat. (Bilder: Franz Rindlisbacher)