Die Eltern entscheiden, «Frau Müller muss weg». Denn sie wollen unbedingt, dass die Klassenlehrerin der Karriere ihrer Kinder nicht länger entgegensteht. Regisseur Sönke Wortmann inszeniert die Komödie um gestresste Eltern.
Am Anfang steht eine Kriegserklärung. Eine fünfköpfige Elterngruppe begibt sich an einem ausserordentlichen Elternsprechtag zu Frau Müller, gespielt von Gabriela Maria Schmeide, der Klassenlehrerin ihrer Kinder, um ihr klipp und klar mitzuteilen, dass sie kein Vertrauen mehr zu ihr hätten. Sie fördere die Kinder dieser vierten Klasse einer Dresdener Primarschule, der Juri-Gagarin-Volksschule, zu wenig, sie sei überfordert, ja sie leide, wie ja so viele andere Lehrer heute, wohl an einem Burn-out und gefährde damit ganz den bald anstehenden Übertritt der Sprösslinge ins Gymnasium. So lauten die Vorwürfe, welche die Elternratssprecherin, die knallharte Frau Höfel (Anke Engelke), der altgedienten Pädagogin entgegenschleudert.
Im leeren Klassenzimmer warten sie auf die Lehrerin. Die toughe Ministeriumsangestellte Höfel hat ihren Mitstreitern und Mitstreiterinnen, dem Ehepaar Jeskow (Mina Tander und Ken Duken), der alleinerziehenden Frau Grabowski (Alwara Höfels) und dem arbeitslosen Herrn Heider (Justus von Dohnányi), vor allem eines eingeschärft: Mund halten, denn sie, Frau Höfel, wisse am besten, wie man mit solch einer gescheiterten Existenz wie dieser Frau Müller umspringen müsse – und da sei es von Vorteil, wenn man mit einer Stimme spreche und sich möglichst auf keine Diskussionen einlasse. Ihre Motivation macht sie glasklar deutlich: «Ich bin hier heute angetreten, weil ich Laura auf dem Gymnasium haben will, alles andere ist mir scheissegal.» Eine andere empört sich: «Hochbegabt haben sie auf der Montessori-Schule gesagt, hochbegabt!»
Das Problem ist nur: Auch Frau Müller ist nicht auf den Kopf gefallen, sie erweist sich ihrer Aufgabe als durchaus gewachsen. «Fassen Sie sich gefälligst an Ihre eigenen Nasen, bevor Sie mich für Ihre Fehler verantwortlich machen», schleudert sie den verdutzten Eltern entgegen. Der Zusammenhalt und die Solidarität in der Elterngruppe ist mehr als brüchig, der Psychokrieg aller gegen alle kann beginnen.
Der bekannte deutsche Theaterregisseur Lutz Hübner schrieb 2009 das Theaterstück «Frau Müller muss weg», die Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden wurde ein grosser Erfolg. Das Werk wurde landauf, landab nachgespielt, auch auf Schweizer Bühnen war es in den letzten Jahren zu sehen. Filmregisseur Sönke Wortmann («Der bewegte Mann», «Das Wunder von Bern»), der mehrfach auch schon fürs Theater gearbeitet hat, erhielt 2010 vom Grips Theater Berlin eine Anfrage: Ob er Regie führen wolle beim neuen Stück von Lutz Hübner.
Wortmann war begeistert, als er das Stück las – so begeistert, dass er fand, nach Abschluss der Theaterarbeit müsse dieser Stoff auch auf die Kinoleinwand. So bemühte er sich um die Filmrechte; «Frau Müller muss weg» wurde also zum seltenen Fall eines Films, der vom gleichen Regisseur inszeniert wird, der wenige Jahre zuvor den Stoff bereits auf der Theaterbühne in Szene gesetzt hat.
Er sei zwar nicht mit dem Schweizer Schulsystem vertraut, meint Sönke Wortmann im Gespräch, habe aber die Erfahrung gemacht, dass der Inhalt von «Frau Müller muss weg» in Deutschland ganz stark einen Nerv treffe. Schliesslich sei der Druck an den Schulen enorm, Eltern wollten aus berechtigter Sorge um die Zukunft ihrer Kinder diese um jeden Preis aufs Gymnasium schicken. «Frau Müller muss weg» sei für ihn aber bei weitem nicht nur eine im schulischen Umfeld spielende Komödie für Eltern und Lehrer, sondern ebenso ein Film, bei dem es um Politik gehe, relativiert Sönke Wortmann den Satz im Presseheft, der Film richte sich an eine glasklar definierte Zielgruppe.
Politik manifestiert sich im Film am stärksten im Gegensatz zwischen «Wessis» und «Ossis». Er bricht im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen den sechs Figuren – drei sind aus dem Westen, drei aus dem Osten, darunter die resolute Frau Müller – auf und führt wiederholt zu so absurden wie schreiend komischen Situationen in einem filmischen Kammerspiel, das sich fast ausschliesslich im Schulgebäude entwickelt.
Auf die Frage, ob der «Ost-West-Konflikt» auch ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung noch eine Rolle spiele, antwortet der aus dem Westen stammende Sönke Wortmann, das brauche mindestens zwei Generationen. Man sehe immer wieder, dass da noch alte Ressentiments präsent seien, etwa bei der Regierungsbildung im Bundesland Thüringen im November.
In St. Gallen im Kino Scala 5 und in Wil im Cinewil