Rund 100 Millionen Tonträger soll Bob Dylan verkauft haben - und damit weniger als Taylor Swift oder Justin Bieber. Doch mit schnöden Zahlen lässt sich das Kulturphänomen Dylan ohnehin nicht erfassen.
Heute, an seinem 75. Geburtstag hat Bob Dylan frei, die berühmte «Never Ending Tour» macht Pause. Doch was heisst schon frei bei einem so rastlosen Künstler, der immer noch in kurzen Abständen Platten mit neuem oder altem Material herausbringt und an 100 Tagen des Jahres in den Hotels von Konzertstädten lebt.
Der grösste Poet des Folk, Rock und Blues dürfte an diesem 24. Mai auch über vergangene Ruhmestaten nachdenken. Vor allem aber über Pläne für die Zukunft, über ein spätes Meisteralbum vielleicht. Oder über den Literatur-Nobelpreis als einzige Ehrung, die ihm trotz diverser Nominierungen (noch) verwehrt geblieben ist.
Seinen Karriere-Einstieg beschreibt der «Picasso des Songs» (O-Ton Leonard Cohen) in seiner literarischen Autobiografie «Chronicles» (2004) so: «Amerika wandelte sich. Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung. Das ging in New York genauso gut wie anderswo.»
Von Rock zu Folk und retour
Noch unter seinem Geburtsnamen Robert Allen Zimmerman spielt der aus Duluth/Minnesota stammende Dylan zunächst in regionalen Highschool-Bands Rock'n'Roll. Sein Faible für die neue Folk-Bewegung entdeckt der aus einer jüdischen Familie stammende junge Mann 1959 in Minneapolis. Dann treibt ihn der «Strom der Veränderung» ins New Yorker Greenwich Village.
Der Erfolg stellt sich mit dem Song «Blowin' In The Wind» (1963) ein. Wilde, wütende Lieder wie «Masters Of War» oder «A Hard Rain's A-Gonna Fall» qualifizieren Dylan für die Protest-Folk-Bewegung - und für den berühmten Bürgerrechtler-Marsch nach Washington.
Doch weder die Rolle eines Folk-Idols mag Dylan auf Dauer annehmen noch die der politischen Symbolfigur. Also mutiert er zum zweiten Mal - diesmal zum Rockmusiker mit elektrischer Gitarre und Band. Für seinen «Verrat» am Folk wird er von Fans als «Judas» beschimpft.
Nicht in Woodstock
Aber Dylan lässt sich nicht beirren und komponiert Mitte, Ende der 60er künftige Klassiker in Serie, Alben wie «Bringing It All Back Home», «Highway 61 Revisited», «Blonde On Blonde». Weltkluge Songs wie «Desolation Row» oder «Like A Rolling Stone», den das (danach benannte) Fachblatt «Rolling Stone» später zum besten Lied aller Zeiten kürt. Seine mit Metaphern und Anspielungen durchsetzten Texte sind von beispielloser Qualität. Selbst seine nasale Stimme hat ihren Reiz.
Nach einem Motorradunfall im Sommer 1966 zieht sich Dylan aus der Öffentlichkeit zurück und lebt mit seiner Ehefrau Sara Lowndes und den gemeinsamen Kindern in der Nähe von Woodstock bei New York. Als dort 1969 das wichtigste Festival des Jahrzehnts über die Bühne geht, ist ausgerechnet der neben den Beatles und den Rolling Stones wichtigste Rock- und Pop-Pionier nicht dabei.
Ein Tief und seither 20 Jahre im Hoch
Die 70er Jahre sind eine schwierige Zeit für Dylan: die Trennung von Sara Lowndes, eine gewisse künstlerische Stagnation. Auch für die 80er fällt die Bilanz eher durchwachsen aus: Auf der Habenseite stehen eine zweite Heirat, kommerzielle Erfolge mit der Star-Band Traveling Wilburys, der Beginn der «nie endenden Tournee» mit 100 Konzerten pro Jahr.
Dylans künstlerische Rehabilitierung kommt 1997 mit dem ersten grossen Alterswerk «Time Out Of Mind». Seitdem hat er einen Lauf, setzt alle paar Jahre Ausrufezeichen wie «Modern Times» (2006) oder «Tempest» (2012). Seine Alben steigen in den Charts so hoch wie selbst in den 60ern nicht, teilweise sogar bis an die Spitze.
Auch die Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: elf Grammys, ein Song-Oscar, der Pulitzer-Preis für «lyrische Kompositionen von ausserordentlicher poetischer Kraft», die von Barack Obama höchstpersönlich verliehene «Presidential Medal of Freedom».