DESIGN: «Eine gewisse Hässlichkeit»

Charles und Ray Eames schufen gemeinsam ikonische Möbel wie den Lounge Chair oder Stühle aus Fiberglas oder Drahtgitter. Das Vitra Design Museum widmet dem kreativen Ehepaar eine grosse Schau.

Christina Genova
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Ray Eames sitzt in einem experimentellen Lounge Chair. Auf den Markt kommt die Designikone 1956. (Bild: Eames Office LLC)

Ray Eames sitzt in einem experimentellen Lounge Chair. Auf den Markt kommt die Designikone 1956. (Bild: Eames Office LLC)

Christina Genova

Im Frühling 1941 macht der Architekt Charles Eames der jungen Künstlerin Ray Kaiser einen romantischen Heiratsantrag: «I love you very much and would like to marry you very very soon.» Der Brief ist erhalten und zu sehen in der ab heute geöffneten vierteiligen Ausstellung «An Eames Celebration» im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Sie präsentiert das Werk des kongenialen amerikanischen Designerpaars auf umfassende Weise.

Ray sagt Ja und im Juni 1941 wird geheiratet. Es ist der Anfang einer fast vierzig Jahre währenden Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die zu den kreativsten des 20. Jahrhunderts zählt. Lange jedoch stand Ray im Schatten von Charles: «Ray war für die Welt nicht existent», sagt Kuratorin Jolanthe Kugler. Einerseits wohl, weil Charles im Gegensatz zu seiner Frau gerne im Rampenlicht stand. Andererseits weil es lange schlicht nicht vorstellbar war, dass eine Frau mehr als die Assistentin ihres Mannes sein konnte. In der Ausstellung wird diese Diskriminierung zwar nicht explizit thematisiert, doch werden die Leistungen der beiden absolut gleichberechtigt dargestellt. Denn zwischen Ray und Charles Eames gab es keine Arbeitsteilung: «Sie ist für alles, was hier vor sich geht, genauso verantwortlich wie ich», sagte Charles Eames. Die gut aussehenden Eames inszenierten sich gegen aussen als perfektes Paar. An diesem Mythos kratzt die Ausstellung nicht, doch ist mittlerweile bekannt, dass Charles mehrere Affären hatte.

Statussymbol für Designaffine

Weltberühmt wurden die Eames durch ihre über 100 Möbelentwürfe, die wichtigsten davon entstanden in nur etwa 15 Jahren. Der bekannteste ist der Lounge Chair – eine Neuinterpretation des traditionellen englischen Klubsessels. Im Gegensatz zu den schweren, aufwendig gepolsterten Sesseln der Zeit ist er elegant, relativ leicht und trotzdem bequem. Bis auf die Sitzschalen aus Sperrholz ist beim Lounge Chair alles Handarbeit, entsprechend teuer ist er. Als er 1956 auf den Markt kommt, ist er trotzdem von Anfang an ein kommerzieller Erfolg. Wie viele Möbel von Ray und Charles Eames wird er bis heute produziert. In Europa besitzt die Firma Vitra die exklusive Lizenz dafür: Der Lounge Chair ist ab 4870 Franken erhältlich – und damit ein Statussymbol für Designaffine der oberen Mittelschicht.

Von ihrem 1950 formulierten Ziel «Das meiste vom Besten möglichst günstig für alle» herzustellen, hatten sich die Eames mit dem Lounge Chair ziemlich weit entfernt. Ausserdem waren sie mit dessen Design nicht ganz zufrieden. Der luxuriöse und prestigeträchtige Sessel zeige, so Charles Eames, «eine gewisse Hässlichkeit». Solche Widersprüche werden in der Ausstellung nicht aufgezeigt. Was hingegen dank der vielen ausgestellten Prototypen deutlich wird: Jeder fertige Entwurf ist das Resultat eines umfassenden Trial-and-Error-Verfahrens.

Die Eames wollten genau wissen, wie man etwas herstellt, und die Eigenschaften und Grenzen eines Materials ausloten: «Sie gingen mit dem fertigen Stuhl zum Hersteller und hielten so alles unter ihrer Kontrolle», sagt Jolanthe Kugler. Die Hartnäckigkeit der Designer ist erstaunlich: Zehn Jahre verfolgten sie die Idee, einen Stuhl aus einer einzigen dreidimensional gebogenen Sperrholzplatte herzustellen. Anfang der 1940er-Jahre war eine industrielle Fertigung solcher Schalen noch nicht möglich. Doch die Eames gaben nicht auf, sondern bauten in ihrer Wohnung in Los Angeles eine Heisspresse, um weiterzupröbeln. Diese tauften sie wegen ihrer verblüffenden Fähigkeit, Sperrholz zu verformen, auf den Namen «Kazam», was soviel wie «Abrakadabra» heisst. 1948 glaubten die Eames, endlich die Lösung des Problems gefunden zu haben. Anstatt die Sitzschale aus Holz herzustellen, liessen sie diese aus Aluminium stanzen, mussten aber feststellen, dass die Stühle zu kalt waren, um sich daraufzusetzen.

Erfolg dank Plastik

Trotz ihres erneuten Scheiterns nahmen die Eames einen weiteren Anlauf und setzten diesmal auf Fiberglas. Dieser mit Glasfasern verstärkte Kunststoff war bisher vor allem in der Flugzeugindustrie und im Bootsbau eingesetzt worden. Nun endlich, nach zehn Jahren, hatte das Designerpaar sein Ziel erreicht, einen bequemen, leichten und ästhetischen Stuhl zu schaffen, der erst noch strapazierfähig war. 1950 startete die Produktion des Plastic Side Chair. Es war der erste seriell hergestellte Kunststoffstuhl der Möbelgeschichte und im Hinblick auf die Produktionszahlen auch der erfolgreichste Entwurf von Charles und Ray Eames. Ausserdem kamen sie mit keinem andern ihrem Ideal näher, ein für breite Bevölkerungskreise erschwingliches Möbelstück zu schaffen. 240 Franken kostet er bei Vitra.

Bis 25.2. Publikation «Eames Furniture Sourcebook» mit einer umfassenden Aufarbeitung der Möbelentwürfe.